Freizeitgestaltung

Schon im Vorfeld einer anstehenden Reise kursierten an Bord Teilnehmerlisten für diverse Veranstaltungen, in die sich jedes interessierte Besatzungsmitglied eintragen konnte. Wobei die Palette der Angebote je nach Länge der Reise und Zusammensetzung der Besatzung variierte.

Zu den Standardangeboten gehörten neben dem Tischtennis- und Skatturnier auch noch diverse Schießsportveranstaltungen. Nicht zu vergessen die beliebten Grillabende. Wobei der vom Reeder gestellte Freizeitfond häufig für Preise und der leiblichen Versorgung zweckentfremdet herhalten musste. So konnte man fast sicher sein, dass man auch als absoluter Kartenmuffel in der Endabrechnung mit einem Preis belohnt wurde. Ich selber zähle mich nicht zu besagten Kartenmuffeln, aber mein Talent für dieses Spiel ist eher mäßig bis schlecht ausgeprägt. So landete ich bei solchen Veranstaltungen fast immer  in den unteren Rängen. Mit den unfreiwillig gesponserten Trostpreisen war ich immer gut bedient. In all den Jahren war mir nur zweimal das Kartenglück hold. Als dritter Sieger, einer wahrscheinlich dünn besetzten Skatrunde, zog ich mit einer Flasche Asbach als Preis von dannen. Leider blieb mir dieser seltene Preis nicht lange erhalten. Niemand hatte mit einem plötzlichen Wetterumschwung gerechnet. In der Nacht briste es kräftig auf und mein hart erspielter Gewinn ging bei der Schaukelei zu Bruch. Letzteres habe ich allerdings erst nach dem telefonischen Weckruf meines Kollegen mitbekommen. Über Nacht hatte sich meine Kammer, dem Geruch nach zu urteilen, in eine Schnapsdestille verwandelt. Ganz nebenbei machten sich die Symptome einer durchzechten Nacht bemerkbar. Der dicke Kopf war noch das kleinere Übel von meinem Allgemeinbefinden. Noch heute verursacht mir allein der Geruch von diesem Getränk leichte Übelkeit.

Ein großer Freund dieser Skatturniere war ich eigentlich nie. Zumal einige passionierte „Kartenhaie“ sich zu Recht darüber monierten, dass mir neben dem nötigen Überblick auch der Ehrgeiz abhanden gekommen wäre. So wäre ich auch ein schlechter Mitspieler für Kapitän W. F. gewesen. Letzterer war ständig auf der Suche nach abendlichen Mitspielern. Wobei es längst die Runde gemacht hatte, dass er bei all seinen spielerischen Fähigkeiten ein denkbar schlechter Verlierer war. Regelmäßig wurden seine Mitspieler belehrt und beschimpft. Seine Schimpfkanonaden führten dazu, dass man sich mit den faulsten Ausreden vor diesen Spielabenden drückte. Ähnlich erging es ihm an der Tischtennisplatte. Als schlechter Verlierer war man ungeschützt seinem Zorn ausgesetzt. Auf einer Reise mit indonesischen Kadetten fand er dann die für alle erträgliche Lösung. Zwei der Indonesier wurden seine „Tischtennissklaven“. Die Jungens begriffen auch schnell, dass sie gefälligst zu verlieren hatten.

Nur einmal hat mich der wilde Ehrgeiz bei einem dieser Skatturniere übermannt. Das Kartenglück war mir mehr als hold. Ich gewann fast jedes Spiel und die aufgestellten Preise rückten in greifbare Nähe. Wobei mich die blanken Pokale nicht die Bohne lockten. Die in Indonesien gekauften Beigaben machten den eigentlichen Reiz aus. So versuchte ich mich mit aller Macht auf das Spiel und meine Gegner zu konzentrieren. Mit von der Partie waren der erste Offizier und ein zweiter Ingenieur. Bei der Kartenaufnahme bemerkte ich dann zu meiner Empörung, dass mein Kollege unserm dritten Mann ständig zuzwinkerte. Meinem lauten Protest folgte ein eisiges und für mich äußerst peinliches Schweigen. Hatte ich doch in all den Wochen unseres Zusammenseins nie bemerkt, dass diese Zwinkerei ein allgegenwärtiger Tick dieses netten Mannes war.

Ich habe nie wieder an einem Skatturnier teilgenommen.

Bei den Tischtennisturnieren habe ich mich meist schon in der Vorrunde verabschiedet. Auch als Linkshänder hatte ich nicht den Schimmer einer Chance bei den vielen Talenten, die selbst bei stärksten Schiffsbewegungen sicher an der Platte standen. Auch hier war ich Aspirant für einen der Trostpreise.

Einer anderen Herausforderung, dem Schießsport, konnte ich nie viel abgewinnen – und ich habe mich, bis auf einen einmaligen Ausrutscher, nicht in die Teilnehmerlisten eingetragen.. Ab und zu wurden während der Reisen so genannte Olympiaden  ausgetragen. In verschiedensten Disziplinen musste man sich mit den anderen Teilnehmern messen. Ähnlich wie bei einem sportlichen Zehnkampf  wurden bei jedem der vielen Wettbewerbe Punkte vergeben. Bei der Kirschkernspuckerei zählten, wie beim Teebeutelweitwurf, die bewältigten Meter. Neben Seilspringen ging auch das beliebte Schaffelboardspiel in die Wertung ein. Mit Dartpfeilen und Luftgewehr oder Pistole ergatterte man weitere Punkte. Der Fantasie waren bei dieser beliebten Veranstaltung keine Grenzen gesetzt.

Während der Seereise verbrachte ein Großteil der Besatzung ihre gemeinsame Freizeit in der bordeigenen Bar. An der Dart-Scheibe oder mit Würfeln wurde dann so manche Runde ausgespielt. Skat- und Schachspieler gaben sich ein Stelldichein. Doch der ganz große Renner war auf zwei der großen Containerschiffe die Anschaffung eines ausgedienten Tischfußballspiels. Mit Hilfe des Freizeitfonds und vielen freiwilligen Spenden gelang uns die Finanzierung. Während der Reisen fanden viele Einzel- und Doppelturniere statt. In unseren ausgehängten Punktetabellen tummelten sich sämtliche klangvolle Namen der Bundesliga.

Ganz ohne Frage aber waren die Grillabende auf den Aus- und der Heimreisen die beliebtesten. Mit der Zeit bürgerte sich dann eine beliebte Variante ein. In Genua oder auch in Marseille wurde eine Abordnung an Land geschickt, um diverse Käsesorten und dazu passende Weine einzukaufen. Letztere Variante erfreut sich noch heute im Kreis von Freunden großer Beliebtheit.

Die eigentlichen Freizeitkünstler an Bord waren aber die Leute, die sich mit sich selbst und ihren Hobbys beschäftigen konnten. Ich selber habe dabei nur eine bescheidene Rolle eingenommen. Vor dem Antritt der Reise habe ich mich mit ausreichend Lesestoff („einem halben Meter Bücher“) und Schreibutensilien versorgt. Mit sehr viel Geduld und viel Überredungskunst ist es mir auf zwei Schiffen gelungen mit Geldern aus dem Freizeitfond, der ja so oft ausschließlich dem leiblichen Wohl diente, eine bescheidene Bordbibliothek aufzubauen. Wobei mir leider der Anfängerfehler unterlaufen ist, nur meinen ureigensten Geschmack einzubringen.

Meine unverhohlene Bewunderung galt immer den Künstlern unter der Besatzung, wobei oft nicht einmal mein persönlicher Geschmack angesprochen wurde. Den gehämmerten Kunstwerken aus Kupferblech kann ich noch heute nichts abgewinnen. Ähnlich ging es mir bei den auf der Drehbank gefertigten Kanonen auf Lafetten oder den Aschenbechern aus ausgedienten Zylindern eines Kolbenantriebs. Ein Rätsel ist mir dabei heute noch, wie man aus leeren Flaschen kunstvolle Trinkbecher herstellen konnte. Die absoluten Könige unter den Bastlern und Freizeitkünstlern waren aber die Buddelschiff- und Knotenbretthersteller. Ich erinnere mich sehr gut an einen griechischen Matrosen, der in seiner Freizeit wahre Kunstwerke in die Flaschen und Glühbirnen zauberte. Es war eine ausgesprochene Ehre, wenn man bei einem Stapellauf einer seiner Schöpfungen dabei sein durfte. Noch heute ist es mir ein Rätsel, wie er diese Arbeiten in der winzigen Kammer, die er mit seiner  kleinen asiatischen Lebensgefährtin teilte, überhaupt ausführen konnte. Zumal von dieser Kammer auch noch ständig alle verführerischen Wohlgerüche der asiatischen Küche ausgingen.

Seine Kunstfertigkeiten hat er bereitwillig an Lernwillige weitergegeben. Unser zweiter Offizier Schwanke hat dieses Angebot damals gerne angenommen und den Buddelschiffbau zu einem gut gehenden Nebenverdienst ausgebaut. Seine Professionalität hatte zur Folge, dass man sich das gewünschte Schiff aus mitgeführten Büchern aussuchen konnte.

Eine absolute Ausnahmeerscheinung unter all diesen Freizeitkünstlern war mein alter Freund Georg (Schorsch) Inatowitz. Er legte sich nie auf eine bestimmte Tätigkeit fest. Goss und bemalte er während einer Reise Zinnsoldaten, so konnte es sein, dass er auf der nächsten Reise kunstvolle Kleinstgewächshäuser, Bücherborde aus ausgedienten Stufen einer Lotsenleiter oder auch Tiffanylampen herstellte. Sein Schöpfungsdrang, wie auch unsere Freundschaft hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten – und ich möchte ihm für seine Hilfsbereitschaft, seine Gastfreundschaft und die gemeinsamen Landgänge in Ostasien danken.