Frikadellenschmiede und Sterneköche

Mit dem Beginn meines Rentendaseins startete zeitgleich meine zweite Karriere als Mädchen für alles. Wobei die Binsenwahrheit „Rentner haben keine Zeit“ sich in vieler Hinsicht bewahrheitet. Es ist nicht immer leicht Hobbys und häusliche Pflichten unter einen Hut zu bringen. Ausgesprochen gerne komme ich meinen Aufgaben als „Hausfrauenbeauftagter“ nach. Einkäufe bei den hiesigen Discountern sind in vielerlei Hinsicht spannend. Neben dem Vergleich des Preisangebotes sind auch menschliche Kontakte unvermeidbar und durchaus erwünscht. Selbst lange Warteschlangen vor den Kassen der Supermärkte lassen mich mittlerweile kalt. Im Gegensatz zu dem Großteil unserer Badegäste lasse ich mir meine Zeit. Zeit auch für ein Schwätzchen mit genervten Norderneyer Hausfrauen oder einem der Verkäufer. Mittlerweile sind in einigen Geschäften der Strandstraße die Angestellten erstaunt, wenn statt meiner, meine Frau zum täglichen Einkauf erscheint. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass nach meinem gesundheitlichen Wohlergehen gefragt wird. Durchaus nicht abgeneigt stehe ich dem sogenannten Hausfrauenklatsch gegenüber. Wobei allzu häufig auch die Herren der Schöpfung diesem Hobby frönen und vor den Geschäften, auf die Dame des Hauses wartend, Klatsch und Tratsch breittreten.

Vor gar nicht langer Zeit wollte es der Zufall, dass ich auf dem Weg nach Hause einem mir bekannten Insulaner begegnete, der gerade sein Fahrrad abstellte. Im Vorübergehen erkundigte ich mich nach seinem Vater, einem pensionierten ehemaligen Funker vom Norddeutschen Lloyd in Bremen. Seiner Aussage nach langweilte sich sein alter Herr gewaltig und wusste mit sich und seinem Rentendasein herzlich wenig anzufangen. Letzteres war natürlich Wasser auf meine Mühle. Wortreich zählte ich dem Sohn Vorteile und Möglichkeiten eines Pensionärs auf. Doch richtig überzeugend waren meine Schwärmereien anscheinend nicht. Die Skepsis in seinen Entgegnungen war nicht zu überhören. Doch ich hatte noch einen Pfeil im Köcher, von dem ich selbst unlängst getroffen und infiziert wurde. Im Internet hatte ich kurz vor dieser Begegnung eine Seite entdeckt, die eigentlich das Interesse jedes ehemaligen Seemannes wecken sollte. So schwärmte ich denn lautstark von der Seite „Seeleute suchen Seeleute“, mit der Möglichkeit, auf diesem Wege ehemalige Freunde und Besatzungsmitglieder von Schiffen des Norddeutschen Lloyds und Hapag Lloyds ausfindig zu machen. Die unüberhörbare Aufzählung der Reedereien hatte anscheinend die Neugier eines flanierenden Passanten geweckt. Er gesellte sich mit der Feststellung zu uns dass er auch bei der Hapag gefahren wäre. Natürlich fragten wir schon aus reiner Höflichkeit nach dem Job, welchen er denn damals an Bord ausgeübt hätte. Koch, so seine Antwort, war nur mit sehr wenigen positiven Erinnerungen verbunden. Natürlich stach mich der Hafer, als ich den Namen „Walter Köwing“, als in meinen Augen besten Koch der Hapag-Lloyd Flotte, servierte. Die Verblüffung war dann aber auf meiner Seite, als er sagte: „Das bin ich.“

Wir haben uns anschließend noch auf der Terrasse unseres Gartens zu einem Umtrunk getroffen und über gemeinsame Freunde und Reisen unterhalten (siehe auch: Hühner-Harry und die Rache an einem ungeliebten Reiseleiter).

Im Nachhinein muss ich eingestehen, dass ich nur sehr wenige wirklich schlechte Köche erlebt habe. Wobei dieser Beruf ohnehin der undankbarste Job an Bord eines Schiffes ist. Bei einer Besatzungsstärke von 48 Mann muss er schlimmstenfalls 48 Geschmacksrichtungen in einem Topf verkochen, eines von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Seltsamerweise fallen einem bei der Rekapitulation der vielen, vielen Einsätze immer nur die Sterneköche und die Frikadellenschmiede ein. Im ersten Ausbildungsjahr sehe ich noch heute den Koch in seiner Kombüse mit dem ewig schlechten Wetter kämpfen. Häufig gab es kein warmes Essen, weil ihm trotz Sicherung die Töpfe vom Herd hüpften. Zudem versuchte er vergeblich mit seinem Kochsmaat mittels kochenden Wassers die Kakerlaken zu dezimieren. Satt geworden sind wir trotzdem. Auf meinem zweiten Schiff war die Verpflegung denkbar schlecht. Dem Mannschaftskoch, zuständig für fast 90 Mann Besatzung, konnte man die Verpflegungsmisere nicht anlasten. Schuld waren ohne Frage Zahlmeister und Oberkoch, die ungeniert in die eigene Tasche wirtschafteten. Satt geworden sind wir trotz magerer Verpflegungsrolle aber auch hier. Über die Beschaffungstricks habe ich einige Geschichten geschrieben. Die Speisekarte an Bord vieler Schiffe in der Großen Fahrt war häufig trotz gut gefüllter Provianträume recht eintönig. Ursache war u.a. das Beförderungssystem bei der Reederei. So wurden altgediente Kochsmaaten – Bäcker oder Schlachter – je nach Bedarf und Fahrenszeit zu Köchen befördert. Die Speisefolge setzte sich dann zwangsläufig aus ständigen Wiederholungen zusammen. So ist jedem Seemann mit längerer Fahrzeit u.a. Rindersaftbraten, Zunge Madeira–Soße, Szegediner Gulasch, Hackbraten, Leipziger Allerlei und Blumenkohl ein Begriff. Im Laufe meiner Fahrzeit habe ich vermutlich eine kleinere Hühnerfarm verspeist. Experimente trauten sich die wenigsten Köche zu, zumal viele Besatzungsmitglieder mehr Wert auf die Quantität als auf die Qualität legten. So versuchte während einer Japan-Reise der Koch Hennings vergeblich, der Besatzung die japanische Küche schmackhaft zu machen. Leider war nur eine kleine Minderheit begeistert. Oft war die Kombüse auch völlig überfordert, wenn es um die Verarbeitung der Lebensmittel ging. Ich erinnere mich an ein Tauschgeschäft auf Hoher See in Höhe der nördlichen Malediven. Gegen zwei Kanister Dieselkraftstoff erwarben wir bei Fischern einen kapitalen Thunfisch. Der Koch war ratlos und so mussten einige Hobbyköche aus der Besatzung zum Messer greifen.

Eine völlige Fehlbesetzung dieses Postens habe ich nur zweimal während meiner vielen Einsätze erlebt. Auf meiner ersten Reise in Richtung Australien, unter dem Kap Hoornier Gottfried Clausen, hatten wir einen völlig unfähigen Koch in der Kombüse. Anscheinend hat diesen Umstand nur der Alte nicht bemerkt – oder er wollte es nicht merken. Die Portionen waren immer mickerig und Nachschläge gab es prinzipiell nicht. Der Aufforderung des Kochs, doch mehr Kartoffeln zu essen, haben wir dann Folge geleistet. So manches Pfund ist dabei heimlich über die Reling gegangen. In einer der ersten Häfen Australiens wurde dann der Proviant knapp. Die Einfallslosigkeit seines Menüs brachte dann das Fass zum überlaufen. Der angebotene Salzhering wurde als Zeichen des Protestes von uns Matrosen an seine Kammertür genagelt. Der Alte hat diesem Spuk ein Ende bereitet und ihm die Leviten gelesen. Der Proviantnachkauf ging dann unter seiner persönlichen Leitung über die Bühne. Eine weitere Fehlbesetzung dieses Postens erlebte ich auf dem Küstenmotorschiff „Bremer Kueper“. Gleich zu Anfang der Reise in Richtung Norwegen wurde der Koch nach kurzer Fahrt bis Brunsbüttel in Richtung Heimat geschickt. Den Rest der Reise bekochte uns der Steuermann. Natürlich war die Kombüse immer im Mittelpunkt der Kritik, so ist es auch schier unmöglich, allen Geschmacksrichtungen gerecht zu werden. Mein alter Freund Peter Sass und ich haben diesem Umstand häufig Rechnung getragen. So haben wir das tägliche Einerlei in Sachen Essen und die ständigen Wiederholungen klaglos ertragen und unsere Landgänge häufig mit dem Besuch eines asiatischen Restaurants oder einer Garküche abgeschlossen. Unvergessen unser Besuch in einem Etablissement in Tanjung Priok, dem Hafen Jakartas. Auf rostigen Blechstühlen vor einem wackeligen Resopaltisch haben wir vor den staunenden Augen der chinesischen Bedienung und Küche vermutlich die komplette Seafood-Karte des Hauses geplündert. Wir sind unserm Frikadellenschmied noch heute dankbar.
Oft bin ich von Gästen und Insulanern auf die Wohlgerüche aus der Kombüse der Frisia-Fähren angesprochen worden. Ich kann versichern, dass unsere Matrosen, ohne Ausnahme gute Köche waren. Es roch nicht nur appetitanregend sondern schmeckte auch noch gut.

P.S. In den ersten Jahren meiner Einsätze auf Frachtschiffen des Norddeutschen Lloyds bestand die Kombüsenbesatzung aus einem Koch und zwei Kochsmaaten (Bäcker und Schlachter). Anfang der 70-ziger wurde die Besatzung um einen Kochsmaaten reduziert, was zur Folge hatte, dass der Service stark eingeschränkt wurde. So gab es z. B. statt der frischen Brötchen aufgebackene Rohlinge und Kuchen aus der Tiefkühltruhe. Das beste Essen gab es natürlich an Feiertagen, am Sonntag und an jedem Donnerstag. Der Donnerstag wird noch heute als Seemannssontag bezeichnet. Vermutlich eine Tradition aus Zeiten der Windjammer, deren Ursprung verschiedene Deutungen hat. So sollen die abergläubischen Kapitäne jener Zeit nach Möglichkeit nicht am Freitag ausgelaufen sein. So war denn am Donnerstag nur wenig Arbeit zu verrichten. Eine einleuchtende Erklärung besagt, dass an diesem Tag zusätzlich vitaminreiches Essen ausgegeben wurde um Skorbut vorzubeugen. Vielleicht ist aber auch ein Fünkchen Wahrheit an der Mär, dass der Brauch auf die Wikinger zurückgeht, die am Donnerstag (Thorsdag – heilig) so ihre Götter ehrten.