Sprachliches Missverständnis

(An – und verrührt, während langer Seetörns)


Sprachliches Missverständnis

Leider ist es mir nicht gegeben Fremdsprachen leicht zu erlernen. Meine Lehrer betitelten diesen Tatbestand als pure Bequemlichkeit oder auch recht bösartig als Faulheit. Ich sah mich, aus welchen Gründen auch immer, von der Natur auf diesem Gebiet stark benachteiligt. Meine Englischkenntnisse sind mittelprächtig und reichen für den Gebrauch in meinem Beruf. Die Französischstunden waren schon während der Schulzeit wenig fruchtbar und von keinem Erfolg gekrönt. Über ein Anfangsstudium bin ich nie hinausgekommen. Ich wechselte schon bald in das Lager der Nichtfranzosen. Mittlerweile habe ich auch diese Anfängerkenntnisse längst zu den Akten gelegt. Bedauerlich, denn auch heute ist bei mir wenig oder kaum Bereitschaft vorhanden mit französischer oder englischer Grammatik zu jonglieren. Mein Bedauern ist aufrichtig, denn selbst mit inselfriesischem Akzent hätten diese Sprachen eine bessere Pflege und Behandlung verdient. Ganz ohne Frage bin ich sprachfaul, selbst dem Platt meiner Heimatinsel bin ich – auch diesen Umstand finde ich mehr als bedauerlich – nicht gewachsen. Verstehen tue ich das Inselfriesisch recht gut, das Schriftbild hingegen ist mir völlig fremd. Meine sprachlichen Qualitäten beschränken sich auf ein paar geläufige Floskeln und Redensarten. Letztere bringe ich in der Regel nur sparsam ein, um meiner Familie und Freunden das Fremdschämen zu ersparen. Trotz dieser beschämenden Tatsache möchte ich eine Geschichte wiedergeben, deren Pointe ein sprachlich-friesisches Missgeschick ist.

Zu dem Rahmen der auf mündliche Aussagen beruhenden Begebenheiten gehören ein paar inseltypische Gepflogenheiten, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Den Erzählungen älterer Einwohner ist soweit zu trauen, dass ich den Zeitpunkt der Geschichte, der eigentlich wenig mit dem Geschehen zu tun hat, Ende der zwanziger Jahre legen möchte. Trotz gerade überwundener Inflation gaben sich schon wieder die ersten Badegäste die Ehre. Die anhaltende Arbeitslosigkeit dieser Zeit gab auch der Inselbevölkerung wirtschaftliche Probleme auf. Jeden Morgen vor Tau und Tag machte sich ein beträchtlicher Teil der männlichen Einwohnerschaft vor dem Arbeitsbeginn, sofern man eine Arbeit hatte – auf die Socken, um die von der Flut freigegebenen Flächen nach Strandgut abzusuchen. “ Strandjen“ nannte sich diese Gepflogenheit, die sich bis auf den heutigen Tag, wenn auch in geänderter Form, erhalten hat. Unter meinen Verwandten war ein Onkel, der jeden Morgen seinen Gang zum Strand machte. Im Windschatten eines Strandcafes gesellte er sich zu einer Handvoll Gleichgesinnter unterschiedlichen Alters. Da standen sie und steckten die Köpfe im ersten Grau eines neuen Tages zusammen. Eventuelle Funde am Meeressaum sind im Kreise dieser Versammlung eher einen Nebensatz wert. Der Wohlstand unserer Zeit und nicht zuletzt die Ölheizung hat jegliches Interesse an Strandgut ersterben lassen. Übrig geblieben ist ein Treff zum morgendlichen Schwatz. Man klönte und schwadronierte ganz ungeniert über wichtige und unwichtige Begebenheiten im Ort. Im Volksmund nannte man diesen erlauchten Kreis nur noch das Schattenkabinett. Es muss schon eine Auszeichnung gewesen sein diesem privilegierten Club, mit ungeschriebenen Statuten, anzugehören. Eines „Tages“ buchte zu Lebzeiten meines Onkels das Schattenkabinett ganz offiziell eine „Reise an die Costa Granata.“ Alte Greetsieler mögen sich an diese Männergesellschaft aus Norderney erinnern. Mittlerweile gibt es auf der Insel einige Dependancen dieses Treffs.

Auch damals schon – ein weiteres Stück Rahmen zu dieser Geschichte – war die weibliche Einwohnerschaft nicht nur als Hausfrau und Wirtin im Fremdengewerbe tätig. Nur waren die Möglichkeiten, die das heutige Selbstverständnis den Frauen zugesteht, noch nicht sehr weit gesteckt. Neben dem Hotel – und Küchenpersonal gab es damals sicher schon weibliche Verkäuferinnen, Angestellte im öffentlichen Dienst und last, but not least eben Damen, die für die Sauberkeit des Kurortes sorgten. Mit der Emanzipation verschwand auch diese Berufssparte fast ganz. Da gab es ältere Frauen, die selbst noch in der Erinnerung meiner Kindheit herumgeistern, die mit einem nagelbewehrten Stock Papierreste, Eistüten, Zigarettenkippen, Apfelsinenschalen – überhaupt jeglichen Unrat, der die Kuranlagen verschandelte treffsicher aufspießten und anschließend in einem rechteckig geflochtenen Spankorb abstreiften. Ich kenne diese Damen nur als lang aufgeschossene“ Piek – Dame“ und fast schon kleinwüchsige „Piek – As.“ Als Junge wirkten die in ihrer weißgestärkten Sauberkeit gekleideten Verwalterinnen und Hüterinnen der öffentlichen Toiletten an den Badestränden auf mich geradezu furchterregend. Eine von ihnen, eine frühe Ausgabe der mir bekannten Damen, hat an dieser Geschichte einen kleinen, wenn auch nicht unwesentlichen, Anteil.

An einem dieser klammen Vorsommertage hoben sich über den Strand und der leicht gekräuselten graublauen Wasseroberfläche feuchte Schwaden in den ersten matten Strahlen der aufgehenden Sonne. Die Ebbe gab eine weite geriffelte von Prielen durchzogene Fläche frei. Ein friedvoller Morgen, in den sich der ältliche Held unserer Geschichte , nennen wir ihn Hinnerk, schiebt. Unter seinen eiligen Füßen wurde das kunstvoll – sandige Gekringel des Wattwurms zertreten und die Sohlen seiner derben Gummistiefel zogen Muster parallel zur Riffelung des Sandes. Wie gesagt, es war ein stiller Morgen, wenn man von dem glucksenden, wasserziehenden Schritt des morgendlichen Spaziergängers einmal absah. Geräuschvoller wurde es, wenn man sich einer der Buhnen näherte, die schon damals den Strand in fast gleichgroße Segmente unterteilte. Das prickelnde Geflüster unzähliger Seepocken und das eifrige Gerenne und Gewimmel der Strandläufer wird ihm kaum aufgefallen sein, es war eben ein Morgen wie viele. Hinnerk hat es eilig. Wollte er doch, bevor die ersten Kurgäste aus den Federn krochen, seinen Stremel ablaufen und mit den Augen nach Strandgut absuchen. Na ja, vielleicht habe er Glück, wie damals, als Wochen nach der“ Skagerak – Schlacht“ die halbe Pinasse angetrieben wurde. Manchmal gab das Meer auch Stauholz, Balken, Grubenhölzer für die winterliche Wärme in der Küche oder der guten Stube frei. An gestrandete Schiffe war während der Sommermonate schon gar nicht zu denken – und Strandung und Bergung eines Goldschiffes, wie die“ Lavinia“ 1925, würde sich sicher so schnell nicht wiederholen. Doch er vertrieb die Gedanken und stiefelte über die pockennarbige Buhne um vom Kopf aus das nächste Buhnenfeld zu überblicken, abzusuchen und abzutasten. Die Veränderung wurde sofort erfasst und registriert. Etwa auf halben Weg zur nächsten Spundwand gewahrte er einen Gegenstand, unterhalb des Flutsaums, der beim Näherkommen wie die tausendfach vergrößerte Ausgabe eines Seeigels aussah. Die Identifizierung bereitete Hinnerk nur wenige Schwierigkeiten, wenn sie auch einer Enttäuschung gleichkam:“ Eine Mine für den Hausgebrauch nicht verwertbar!“ Zudem war man verpflichtet, diese Relikte des letzten Krieges bei den zuständigen Behörden zu melden. Minen verschiedenster Form und Größe hatte es schon häufig auf den Strand geworfen. Oft genug waren sie in der überschlagenden Brandung detoniert und hatten Sand – und Wasserfontänen in den Himmel geschleudert und die Fenster der strandnahen Pensionen und Hotels erzittern lassen. In vorsichtigem Abstand umkreiste Hinnerk die stachelbewehrte Mine und die erste Enttäuschung wurde durch das Gefühl verdrängt immerhin eine Neuigkeit vom beträchtlichen Wert zu besitzen. Strandvogt und Polizei mussten benachrichtigt werden. Überhaupt war der Informationswert dieses Fundes nicht zu bezahlen. Er umkreiste ein letztes Mal seinen Fund und drehte ihm entschlossen den Rücken zu.

Er ließ die mit ihren roten Dächern und verglasten Veranden der Pensionen rechts liegen und zerteilte eilenden Schritts das Buhnenfeld in zwei gleichschenklige Dreiecke. Erklomm das blaubasaltene Vorfeld der Strandbefestigung und rutschte in seiner Eile fast auf dem angebackten Seegras aus. Die Neuigkeit trieb ihn trotz seines sonst gern zur Schau getragenen Alters wahrscheinlich sogar die leichte Wölbung der sandsteinernen Strandpromenade hoch. Vor seinen Augen das feste Ziel des langgestreckten Flachbaues des Luft – und Sonnenbades. Wusste er doch dort, trotz der morgendlichen Stunde einen Menschen, der für Neuigkeiten jeglicher Art und einen Schwatz immer ein offenes Ohr hatte. Sein eiliger Schritt galt – nennen wir sie Heti aus Rücksicht auf bestimmt noch lebende Angehörige- der Verwalterin und Hüterin der Toiletten unterhalb der strandhaferbestandenen Georgshöhe. Leider steht dieser hübsche rechteckige Bau nicht mehr. Die Jahrhundertsturmflut 1962 kannte keine Gnade. Damals nun saß Hetie gerade in ihrem weißgetünchten, mit zwei hochlehnigen, ausrangierten Küchenstühlen ausgestatteten Aufenthaltsraum. Ihr ganz persönliches Reich gewährte Einblick in die Vorräume der Damen- und Herrentoilette. Kein Besucher kam ungesehen an ihrem klappernden Strickzeug, noch an der weißen Untertasse mit den fordernden 10 Reichspfennigen vorbei. Hinnerk unterdrückte seinen fliegenden Atem, lehnte an dem Türrahmen der Eingangstür und bot gespielt gelangweilt sein „Moin“ zum Morgengruß. Der Unterton, vielleicht auch die Spannung in seiner Stimme, hat ihn gleich verraten und es war nun an Heti, ihn eine kleine Ewigkeit auf seiner Neuigkeit sitzen zu lassen. Schließlich ließ sie das Strickzeug auf den Schoß sinken und sie blickte Hinnerk fragend an. Um die Spannung und die Neugier anzustacheln, fragte er dann wie beiläufig: „Hest Mine all sähn?“ Verblüffung und Sprachlosigkeit spiegelten sich in ihren alten wässerigen Augen, und es dauerte nur wenige Sekunden, die die Sprachlosigkeit zur hellen Empörung werden ließ– und mit der ganzen Verachtung, der sie fähig war, sagte sie nur: „Du ol Schwien“.

Mine = Mine ( ausgesprochen : mien )
mien = mein, meine, meine, meinen ( ausgesprochen : mien )