MS „Bremer Kueper“ und eine verspätete Matrosenprüfung

Nach drei Jahren Fahrens- und Ausbildungszeit sollte eigentlich der seemännische Gesellenbrief folgen. Doch die Matrosenprüfung musste plötzlich verschoben werden, weil der Verband Deutscher Reeder die Personalmisere in der Küstenfahrt mit Hilfe einer gesetzlichen Auflage in den Griff zu bekommen versuchte. Für die entsprechende Zulassung zur Prüfung musste völlig unerwartet im Seefahrtsbuch ein halbes Jahr Fahrzeit in der Nord –und Ostsee nachgewiesen werden. Mein Arbeitgeber in Bremen verfügte zur damaligen Zeit aber nur über sechs Küstenmotorschiffe mit so klangvollen Namen wie „Norder Till“ oder „Süder Piep“. Diese ca. 450 BRT (BRT = Brutto-Tonnage, der Gesamtrauminhalt eines Schiffes einschließlich aller geschlossenen Räume)großen Motorleichter verkehrten zwischen Hamburg und Bremen. Neben dem Fahrtgebiet und die meist spartanische Einrichtung ließ eine Anmusterung wenig verlockend erscheinen. So war ich auch nicht böse, als mir durch Vermittlung des Heuerbüros ein Schiff einer anderen Firma zugewiesen wurde.

Noch heute schätze ich mich glücklich, dass es mich im März 1964 zu der Reederei Bruno Bischoff verschlagen hatte. Ohne das Zutun meiner Kumpels, Kord H.-R. und Norbert Sch., aus der zweijährigen Ostasienfahrt, wäre ich aller Wahrscheinlichkeit bei diesem sympathischen Familienunternehmen hängen geblieben. Von dem oft besungenen Lloyd-style, einer strikten Trennung von Offizieren und Mannschaft, war auf dem Bremer Kueper absolut nichts zu merken. Meine erste Bekanntschaft mit diesem Küstenmotorschiff gelang mit einiger Verzögerung. Mit dem Reisegepäck unterm Arm bzw. auf dem Buckel und dem Heuerschein in der Tasche suchte ich erst einmal vergeblich nach meinem neuen Arbeitsplatz, der im Bremer Holzhafen liegen sollte. Den Niedrigwasserstand der Weser hatte ich bei meiner Suche nach dem 430 BRT großem Schiff nicht ins Kalkül gezogen. Lediglich Masten und Ladebäume ragten über die Kaimauer. Wobei ich den Namen des Schiffes auf Grund des Wasserstandes weder am Heck noch am Bug lesen konnte. Erst ein an Deck stehender Mann im blauen Overall konnte meine Fragen hinsichtlich Schiff und Kapitän befriedigend beantworten Empfangen wurde ich dann von eben diesem Mann im Blaumann. Meine Frage nach dem Kapitän erwies sich kurze Zeit später als ziemlich blöd, denn allgemein ersetzte auf diesen Schiffen der blaue Overall die Uniform –und mir gegenüber stand also der Kapitän.

Mit zwei anderen angehenden Matrosen hauste ich in einer Kammer unter der Back. Eine, für die damalige Zeit, großzügige Unterkunft. Unangenehm und ungemütlich wurde es nur bei schlechtem Wetter. Brücke, Kombüse, Messe und sonstige Räume und Unterkünfte befanden sich über dem Achterschiff. Bei Seegang war dieser vierzig Meter Spurt auf der Leeseite, die Seite des Schiffes, die bei Wasser fast im Wasser hängt, des ansonsten offenen Decks von achtern zu unserer Kammer immer wieder ein Vabanquespiel. Allzu oft erwischte uns, trotz aller Vorsicht und Schnelligkeit, der Blanke Hans und man erreichte das Ziel triefend nass. Letzteres hatte zur Folge, dass man mindestens zu zwei weiteren Spurts gezwungen war. Duschen konnte man nämlich nur auf dem Achterschiff.

Noch unangenehmer wurde es, wenn das Schiff die Nase tief in die anlaufende Dünung und Windsee steckte. Unsere Kammer wurde dann zum rasenden Fahrstuhl. Man hatte zeitweilig das Gefühl, dass nur der Magen diese Berg- und Talfahrten mitmachen würde. Doch Gott sei Dank waren diese Schlechtwetterphasen eher die Ausnahme.

Die Reisen mit dem Bremer Kueper dauerten durchschnittlich zwei Wochen und führten uns fast ausschließlich in die Ostseeländer. Der familiäre Umgangston zwischen Schiffsleitung und Besatzung und das damit verbundene gute Betriebsklima führten dazu, dass der Dreierpack unter der Back sich in kürzester Zeit eingelebt hatte und äußerst wohl fühlte. Ganz im Sinne dieses Familienunternehmens war es natürlich, dass man sich mit Reederei und dem eigenen Schiff identifizierte. Zwischen den Besatzungen der Reedereischiffe entbrannte ein heimlicher Wettbewerb. Man war bestrebt das Schiff immer wie „aus dem Ei gepellt“ erscheinen zu lassen. Der Bootsmann als Beaufsichtigungsperson und Antreiber war eigentlich völlig überflüssig. Nach den ersten Wochen waren wir ein eingespieltes Team. Dem Alten muss die Ausführung der Arbeit und der Teamgeist imponiert haben, ansonsten hätte er nie und nimmer vorgeschlagen und erlaubt, dass abwechselnd einer von uns drei Leichtmatrosen eine Reise aussetzte. Von diesem unerwarteten Heimaturlaub hat die Reederei nie etwas spitz gekriegt.

Beteiligt waren wir drei Neuzugänge mit der Anmusterung und mit unserer Einwilligung an dem wohl organisierten Alkoholschmuggel. Der Schiffshändler in Bremen hat sich dabei bestimmt eine goldene Nase verdient. Von dem hochprozentigen Zeug haben wir selber nicht eine Flasche getrunken. Ganz im Gegenteil, wir haben, wenn das Leergut denn vorhanden war, den billigen Fusel auch noch mit Tee verlängert. So wurden zum Beispiel aus fünf Flaschen Napoleon durch unsere Zauberhände ein halbes Dutzend wohlfeilem Ostfriesennapoleons. Wobei wir mit solchen fiesen Tricks bei unsern festen Abnehmern Abstand nahmen. Gleich auf meiner ersten Reise erlebte ich im dänischen Horsens einer dieser Zwischenhändler. Er brauste bei unserer Ankunft mit einem Motorradgespann heran. In Windeseile wurde der Beiwagen mit Batterien von Flaschen aufgefüllt. Der Gewinn muss nicht unbeträchtlich gewesen sein. Neben unserer später ausgezahlten Beteiligung, wurde die gesamte Besatzung zu einem Umtrunk eingeladen. Wobei wir, seine Leichtmatrosen, diese Einladung nicht für bare Münze genommen hatten. Der Koch trommelte uns aus den Kojen und gab uns eindringlich zu verstehen, dass wir dieser Einladung, wenn wir den Alten nicht beleidigen wollten, Folge zu leisten hätten. Unser Küstenmotorschiff wurde abgeschlossen und die ausgelassene Feier nahm seinen Lauf.

Der Mangel an Hafenarbeitern brachte es dann noch mit sich, dass wir eine weitere Einnahmequelle in diesem Hafen erschlossen. Die Besatzung löschte die für Horsens bestimmte Fracht mit dem bordeigenen Ladegeschirr selber. Bei der Weiterfahrt nach Drammen im Oslofjord war die Besatzung, ohne Wissen der Behörden, um zwei Köpfe gewachsen. Zwei nette Däninnen fuhren sozusagen per Schiffstopp bis Norwegen mit. Anschließend wollten sie per Fähre wieder in Richtung Heimat schippern.

In Norwegen war die Schmuggelei ein äußerst schwieriges Geschäft, wobei Kunden mehr als reichlich vorhanden waren. Doch unser gepanschtes „Kopfweh in Flaschen“ an die zahlreichen Dockschwalben oder Schnapser zu verkaufen war mehr als gefährlich. Wobei die Gefahr nicht unbedingt von dieser Kundschaft ausging, die durch die Bank weg Alkoholiker waren. Sie verhökerten für einen Schluck aus der Flasche selbst Eheringe. Rabiat wurden einmal ein paar Damen aus dem horizontalen Gewerbe, als sie betrunken mit einer Feueraxt unsere Kammertür demolierten. Wobei sie, ich möchte es extra betonen, nur Schnapsflaschen erbeuten wollten. Die Polizei hat uns dann von den Damen befreit, die noch in der blauen Minna beim Abtransport Freddys „Junge komm bald wieder“ norwegisch eingefärbt ( „X max mir Sorgen…“) sangen.

Unser wirklicher Feind und Spielverderber war gut getarnt im Hafen versteckt und beobachteten mit Ferngläsern das lebhafte Treiben an Bord. Vor den Augen der Zöllner die heiße Ware zu verkaufen war fast unmöglich. Es war und bleibt ein ewiges Katz- und Mausspiel dieser beiden Kontrahenten. Das Anlaufen von Oslo war immer mit dem Besuch der Zollfahndung, wegen der dunklen Farbe der Uniformen auch „schwarze Gang“ genannt, verbunden. Sehr zu unserm Leidwesen waren in ihren Reihen häufig ehemalige Seeleute anzutreffen. Nicht nur die gängigen Verstecke für Konterbande sind diesen Füchsen bekannt, womit unser sportlicher Ehrgeiz geweckt war. Der Koch hatte unter anderem eine ganze Lage Flaschen unter dem Frischfleisch im Kühlschrank gelagert. Gut verstaut lagerte unser Nebenverdienst auch in der abgeschlossenen Ladung Neuwagen, die für andere Häfen Skandinaviens bestimmt waren. Sehr stolz waren wir auf den Einfall, den Inhalt einer Flasche in ein mit Stearin bekleckertes Exemplar umzufüllen. Dieser Tischschmuck vor den Augen der Zöllner ist nie aufgefallen. Weitere Verstecke möchte ich erst einmal nicht preisgeben. Meine Gewinne aus diesem durchaus einträglichen Geschäft habe ich auf dem Hauptpostamt in Oslo in Briefmarken angelegt.

Erwähnenswert ist ein bedauernswerter Unfall. Einer unserer Vorgänger war auf die Idee gekommen eine Flasche in den hohlen Deckstützen eines Ladebaums zu verstecken. Dazu musste er lediglich das rund zwei Meter lange Rohr ein wenig hochschieben um die Schmuggelware in dem Hohlraum verschwinden zu lassen. Die Idee und das Versteck wären wirklich exzellent gewesen, wenn er denn beim Anheben des Eisenstützens das Gewicht bedacht hätte. Ein Helfer bei dieser Aktion wäre auch keine schlechte Idee gewesen. So aber konnte er den schweren Stützen mit einer Hand nicht halten und er sauste herab wie ein Fallbeil und trennte ihm das vorderste Glied seines Zeigefingers sauber ab, gerade in dem Moment wo die Flasche in dem Hohlraum verschwand. An Land hätte eventuell noch ein Chirurg tätig werden können, an Bord, fern des nächsten Hafens, half nur ein dicker Pressverband. Die Fingerkuppe wurde vorsichtshalber in einem Marmeladenglas mit Spiritus aus der Bordapotheke versenkt – und dort verblieb dieses schaurigschöne Sehstück für einige Reisen.

Wenig lukrativ waren die Geschäfte und Schmuggeleien in den damaligen Ostblockstaaten. In Polen tauschten wir in den Häfen Gdynia und Gdansk immer sehr erfolgreich auf dem Schwarzmarkt Westmark in Sloty um. Doch was nützte der tolle Kurs, für 10 DM gab es durchschnittlich 240 Sloty, wenn man für das viele Geld lediglich Alkohol kaufen konnte. Wobei die große Flasche Bier „Germanenkeule“ lediglich 7 Sloty kostete. Ausführen durften wir das Geld auch nicht. Letzteres wussten anscheinend auch einige Polen. Zumindest waren unsere sorgfältig gewählten Verstecke außerhalb des streng bewachten Hafengebietes beim nächsten Landgang fast immer geplündert.

In den 60-ziger Jahren sind wir in den russischen Teilrepubliken Litauen und Lettland selbst bei sommerlichen Temperaturen dick eingemummelt an Land marschiert. In mehreren Schichten trugen wir die wenig atmungsaktiven Nyltesthemden und zwei oder drei Paar Jeans. Der Verkauf in Klaipeda, ehemals Memel oder Ventspils, ehemals Windau war kein Problem. Mit den vielen Rubeln konnten wir auch hier herzlich wenig anfangen. Einige Besatzungsmitglieder haben das Problem mit Krimsekt im Interclub, das Seemannsheim in den Ostblockstaaten gelöst. Bei den ständigen Kontrollen und Leibesvisitationen habe ich auf dieses Geschäft lieber verzichtet.

Auf der Rückreise wurde das Schiff in den skandinavischen Ländern fast immer mit riesigen Rollen Zellulose beladen. Wobei die riesigen Abdeckplanen von den Eisenbahnwaggons heimlich mit verladen wurden. Die Schiffshändler in Rotterdam zahlten je nach Quadratmeter Fläche gutes Geld für Persennige.

Aus dem Ostblock wurde unter anderem Asbest und NATO- Stacheldraht eingeführt. Die ständige Bewachung des Schiffes durch bewaffnete Soldaten, Durchsuchungen nach eventuellen Flüchtlingen und andere Schikanen waren Ursache für ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Man war immer froh, wenn man diesen Häfen den Rücken kehren konnte. Wobei ein frisch gebackener dritter Offizier es einmal besonders eilig hatte. Trotz heftiger Proteste der russischen Marine durchquerte er auf direktem Wege ein Manövergebiet. In Bremen durfte er dann gleich den Seesack packen, um sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen.

Mir selber ist der Abschied von der Küstenfahrt und der sympathischen Reederei sehr schwer gefallen. Ende des Sommers drängten mich aber meine Freunde aus der Großen Fahrt dazu, endlich meine Matrosenprüfung zu machen. Tatsächlich durfte ich dann vor Ablauf des halben Jahres bei Bootsmann Mau auf dem Schulschiff Deutschland antreten. Bedingung war allerdings, dass ich einen Vorbereitungskurs bei der Gewerkschaft belegen würde. In dieser einen Woche auf dem Dachboden eines alten Hauses im Schnoorviertel der Bremer Altstadt, habe ich eigentlich nichts gelernt, was ich ohnehin schon konnte. Hauptsächlich habe ich Augen in dicke Stahltrossen gespleißt Sieben Tage habe ich so für die Bremer Reederei Hansa gearbeitet, ein guter Verdienst für die Gewerkschaft. Den Lehrgang durften wir übrigens zu allem Überfluss auch noch bezahlen.

Mit dem Matrosenbrief in der Tasche musterte ich kurze Zeit später mit Freunden auf der Bayernstein an, Ostasien lockte.