Ferdinand und Konsorten
Eng verbunden mit der Seefahrt sind die Mitbringsel der Seeleute.
Die in den Häfen an Bord kommenden fliegenden Händler leisteten der Bequemlichkeit und Phantasielosigkeit Vorschub. So brachte „Hein Seemann“ häufig eben nur die seit Segelschiffzeiten typischen Andenken von seinen Reisen mit. In Glasvitrinen und Schränken werden diese Schätze aus der Fahrenszeit eifersüchtig gehütet. So ganz frei kann ich mich davon auch nicht sprechen. Wobei ich einige der ganz typischen Mitbringsel mittlerweile schamhaft entsorgt bzw. auch nie erstanden habe. So kann meine Familie bezeugen, dass ich nie den ausgestopften, eine Schlange würgenden Mungo von den Reisen an die Westküste Südamerikas mitgebracht habe. Meinen Neffen in Bremen habe ich allerdings – Asche auf mein Haupt – mit aufrecht stehenden Baby Alligatoren aus Zentralamerika überrascht. Wenn ich mich recht erinnere, hatten die ausgestopften Viecher auch noch Musikinstrumente zwischen den Vorderpranken. Gegen das Teeservice mit Geisha-Kopf aus Japan habe ich mich mit Erfolg gewehrt. Die Waffenimitationen aus Taiwan wurden gleich auf einer der ersten Ostasienreisen erworben. Der doppelwandige Zinnbierkrug aus Indonesien ist heute noch Bestandteil des Haushaltes meiner Schwiegermutter in Gütersloh.
Mit den Jahren entwickelt wohl jeder Mensch seinen ureigensten Geschmack. Mit dieser einsetzenden Wandlung vollzog sich automatisch eine Bereinigung des angesammelten Sammelsuriums. Viele der Schätze habe ich verkauft oder auch verschenkt. Wobei sich gerade bei diesen Dingen über Geschmack trefflich streiten lässt. Kitsch oder nicht Kitsch ist eine reine Auslegungssache.
Das Eldorado für Kitscheinkäufe ist aber wohl unbestritten Ägypten. Urlauber dieses Landes werden es bezeugen können, dass viele dieser angebotenen Geschmacklosigkeiten kaum zu übertreffen sind. Wiederum sind ja anscheinend genügend Interessenten für Sphinx-Aschenbecher, Wasserpfeifen, Götterstatuen und ähnlichem Klimbim vorhanden.
In Port Said, Suez oder während der Passage durch den Suezkanal wird dieser orientalische Basar, wenn es denn die Zeit erlaubt an Bord verlegt. „Achmed“ versucht dann auf jede erdenkliche Weise „Hein Seemann“ über den Tisch zu ziehen. Neben den üblichen Kamelhockern, Sitzkissen und Plastikkamelen werden unter der Hand antike Münzen angeboten. Letztere sind genauso nachgemacht wie die Papyrusbilder aus der Pharaonenzeit. Mit Verschwörermiene wird einem „Spanish fly“ in die Hand gedrückt – alles ganz, ganz billig. Ich bezweifele heute noch, dass der pulverisierte Blasenkäfer und damit das angepriesene Aphrodisiakum in den abgepackten Tütchen steckten.
Jedem Orientalen scheint dieses Verkaufstalent in die Wiege gelegt worden zu sein. Während der Fahrt durch den Suezkanal wurden die Schiffe mit jeweils zwei Ruder- oder Motorbooten der Kanalbehörden ausgerüstet. Boote samt Besatzung wurden mit dem schiffseigenen Ladegeschirr auf das Vor – bzw. Achterdeck gesetzt. Die Besatzungen dieser Boote sollten in Notfällen wie Schiffskollisionen oder bei Sichtbeeinträchtigungen durch Sandsturm die Festmacherleinen schnell an Land bringen und über die Poller stülpen. Einen solchen Einsatz habe ich in all den Jahren nur einmal erlebt. Kaum verwunderlich, dass die „Achmeds“- kaum an Bord – im Schatten ihrer an Deck liegenden Boote, in einem Betriebsgang oder auf einem der freien Decks ihren Basar eröffneten. Während der Passage entwickelten sich dann häufig auch reine Tauschgeschäfte. Textilien, Ölfarbe, Tauwerk oder Pillen gegen Kamelhocker oder anderen Plunder. Wobei beide Seiten stets darauf bedacht waren den jeweils anderen Geschäftspartner kräftig über das Ohr zu hauen. Clever waren meist die „Alis“, zudem vergriffen sie sich gerne an Dingen, die nicht ihr Eigentum waren. Der Versuch die Besatzungen der Kanalboote während der nächtlichen Passage in leer stehenden Kabinen der Besatzung unterzubringen wurde wieder aufgegeben. In nächtlicher Fleißarbeit hatten unsere befristeten Freunde alle verwertbaren Dinge abgetakelt und abgeschraubt. So gesehen waren die versteckten Gemeinheiten und verübten Streiche von uns gewissermaßen nur kleine Revanchen. So haben wir nur zu gerne den Betteleien nach einem frischen Farbanstrich für ihre Boote nachgegeben. Der gewünschten Farbe wurde im Kabelgat reichlich Leinöl beigemengt. Anschließend war es eigentlich eingefärbtes Leinöl ohne die geringste Chance jemals trocken zu werden. Gefürchtet haben die „Alis“ und „Achmeds“ unsere ganz spezielle Verabschiedung im Golf von Suez. Beim Verlassen des Kanals wurden die bemannten Boote von uns zu Wasser gefiert. Die Boote waren dann nur durch eine lange Leine mit unserm Fahrt aufnehmenden Schiff verbunden. Die Ruderboote erreichten bei längerer Schleppdauer eine atemberaubende Geschwindigkeit. Das anfängliche Gezeter der Bootsbesatzung ging dann allmählich in bittende und bettelnde Gestik über. Zeichen für uns die Leine von der Klampe zu lösen, um dann noch den Beginn einer langen Ruderstrecke in Richtung Hafen zu beobachten.
Als ganz abgefeimt wurden die Händler eingestuft, die sich mit ihren Daus den auf Reede liegenden Schiffen in Suez oder Port Said näherten. Über eine Wurfleinenverbindung wurden Tauschgegenstände hin und her geschickt. Generationen von Seeleuten sind ihrer zögerlichen Verhandlungstaktik auf den Leim gegangen. Bis kurz vor Abfahrt des Schiffes konnte meistens keine Einigung erzielt werden. Den Tauschgegenstand bekam man natürlich auch nicht zurück. So nahm man dann Minuten vor der Weiterfahrt statt des begehrten Sitzkissens verschmutzte Ansichtskarten oder ein hässliches Fotoalbum als Lohn seiner Verhandlungen entgegen. Mit ihren wendigen Seglern suchten die Händler dann schnell das Weite. Nur allzu gut wussten sie, dass die betrogenen Seeleute in ihrer Wut sich nicht scheuten den Deckwaschschlauch oder Wurfgeschosse jeglicher Art zu benutzen.
Einige dieser Daus wiederum waren nur auf Diebereien aus. Sie umkreisten ständig ihr Opfer und hielten Ausschau nach offen stehenden Bulleyes oder enterten das Schiff über die Ankerkette. Mit rabiaten Mitteln versuchte man sich an Bord dieser Räuber zu erwehren. Ich erinnere mich recht gut daran, dass wir in der abgedunkelten Kammer bei geöffnetem Bullauge auf die Diebe gewartet haben. Spannend wurde es, wenn dann ein schwankender Mast sichtbar wurde. Sobald die Finger des Eindringlings sich im Rahmen des Fensters verkrallten, wurde dieses mit Schwung geschlossen. Aufschrei und der Plumps in das Wasser waren selbst durch das nun geschlossene Bulleye zu hören.
Ferdinand war ohne Frage der Krösus unter all den Händlern. Er selber kam nur noch selten an Bord der Schiffe. Allenfalls auf die Passagier- oder Kombischiffe. Galt es doch da dem Zahlmeister oder auch dem Kapitän mit einer extra reich verzierten Einlegearbeit um den Bart zu gehen. Anschließend breiteten sich seine Händler mit ihrer Ware auf dem Palaver oder Promenadendeck aus. Unmengen von Kamelhockern, Sitzkissen, Kameltaschen und Schuhen aus Kamelleder wurden fein säuberlich in langen Reihen ausgelegt.Wobei in der damaligen Zeit sogar bargeldlose Einkäufe durch die Besatzung möglich waren. Die Abrechnung erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt durch den Oberzahlmeister. Unstrittig war dabei, dass Hein Seemann auch die Prozente bezahlt hatte, die Ferdinand wiederum auf den Tisch legen musste. Nicht ohne Grund wurde gemunkelt, dass sich diese Herren über die Gehälter des Kapitäns und seiner Offiziere köstlich amüsierten. Einige Kapitäne waren aber geradezu allergisch gegen diesen orientalischen Markt und verweigerten seinen Abgesandten den Zutritt. Die Gangway blieb waagerecht an der Bordwand hängen. Manchmal überlisteten sie uns aber auch und kamen im Schlepptau der Behörden an Bord. Bei dem Andrang konnte man auch kaum unterscheiden wer nun wer war. Letztlich ging es fast allen Beteiligten auch nur um die Entlohnung in Form von Zigaretten. Der Quarantänearzt mit Assistent lieferte für einige Stangen „Glimmstengel“ ein für die Passage wichtiges Papier ab. Der Hafenlotse in Port Said kam häufig nur bis in das Kartenzimmer, um dort seine Entlohnung in Empfang zu nehmen. Shake hands mit dem Kapitän – und weg war er wieder. Der Suezkanal Elektriker meldete sich zur Bedienung des Scheinwerfers unter der Back. Als Entlohnung gab es natürlich Zigaretten. Nicht georderte Wachleute wollten und konnten nicht mehr von Bord, weil ihr Boot längst in der Dunkelheit entschwunden war. So kam es schon einmal vor, dass Ferdinands Abordnung uneingeladen an Bord kam. Gottfried Clausen („Master next God“) war so erbost über diese Dreistigkeit, dass er uns unverzüglich zum Spülen sämtlicher Decks abkommandierte. Wir sind dieser Aufforderung nur zu gerne nachgekommen. Die Vorhut von Ferdinand hatte eine geradezu panische Angst vor Wasser.
Doch in den meisten Fällen waren die Argumente seiner Verkäufer wohl ausreichend, zumindest habe ich oft genug Basare an Bord erlebt. Unvergessen ist eine seiner Verkaufsaktionen in Port Said. Geschäftiges Treiben und heftige Feilschereien auf dem Palaverdeck, als plötzlich auf dem gesamten Schiff das Licht ausging. Ein so genannter „blackout“ in der Maschine, der die Ingenieure und sonstiges Maschinenpersonal sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Zumindest auf dem Palaverdeck zwischen all den ausgestellten Waren, Mitbringseln und Händlern entstand ein Geschiebe und Gedränge in Richtung Schiffinneres. Seltsamerweise funktionierte auch die Notbeleuchtung nicht. Es dauerte einige Zeit, bis die Deckstrahler wieder die Szene beleuchteten. Das anschließende Geschrei von Ferdinands Händlern kann ich noch heute nicht ganz nachvollziehen. Standen doch lediglich zwischen den aufgereihten Schuhen aus Kamelleder drei Paar völlig ausgelatschte und ölverschmierte Arbeitsschuhe aus der Maschine.
Ein Spaßvogel hatte das Tauschangebot wohl doch zu wörtlich genommen.