Norderneyer round the World

Wer kennt nicht die Situation, dass an der eigenen Haustür geklingelt wird und einem plötzlich wildfremde Menschen gegenüberstehen, die einen lieben Gruß von gemeinsamen Freunden oder Bekannten ausrichten. Mir wird es wohl immer verborgen bleiben, was mit diesem eher peinlichen Aufeinandertreffen eigentlich bezweckt wird. So sind wir mittlerweile dazu übergegangen, diese Überfälle an der Eingangstür abzufangen. Der Einfluss meiner Frau hat es immerhin mit sich gebracht, dass ich mich mittlerweile für die Nachrichten aus der Ferne bedanke und die Floskelschieberei höflich auf ein Minimum begrenze. Ganz sicher ist man vor dieser Art der Botengänger allerdings nie. Zumal, während der Inselsaison, häufig die Haustüren einladend offenstehen. So hat meine Frau, nachdem sie den Tatendrang einer älteren Dame erst in unserem Schlafzimmer stoppen konnte, unsere vier Wände mit Zahlenschloss und Kamera gesichert. Auf die Dauer macht diese Einigelungstaktik allerdings einsam. Mit dieser Einsicht pflegen wir heute einen lockeren Umgang mit reisenden Hermesjüngern. Zumal ich selber, während meiner vielen weltweiten Schiffsreisen, gezielt auf Norderneyer im Ausland angesetzt worden und vermutlich ihnen mit meinen Besuchen und Grüßen aus der alten Heimat auf die Nerven gegangen bin. Eine Abfertigung zwischen Tür und Angel habe ich bei all meinen Überfällen nur einmal erlebt. Vermutlich kam mein Besuch der Familie Hartmann – ehemalige Besitzer des Hotels Germania an der Kaiserstraße, in Buenos Aires ungelegen.

Gut ist mir die überschwängliche Gastfreundschaft in Erinnerung geblieben, die mir eine gebürtige Norderneyerin in Kalifornien entgegenbrachte. Bei meinen Reisen an die Westküste Nordamerikas wurde ich regelmäßig, wenn es Liegezeit und die Arbeit erlaubte, abgeholt. Die Nachrichten aus der alten Heimat wurden mit großzügigen Einladungen abgegolten. Die Schwester H. und Th. Pleines und ihre amerikanischen Ehemänner haben auch auf diese Art nie die Verbindung zu Norderney abbrechen lassen. Höhepunkt dieser Treffen war ohne Frage der Besuch in Sacramento. Der Hochwasser führende Sacramento-River verhinderte das Auslaufen des Schiffes und ermöglichte mir, eine mehrtägige Einladung meiner kalifornischen Gastgeber anzunehmen. Neben dem schmucken Eigenheim, der Familie und den Freunden lernte ich auch die Sehenswürdigkeiten und den kalifornischen Regierungssitz kennen. Das politisch konservative Engagement der Familie hätte mich eigentlich warnen müssen. So blieb es denn nicht aus, dass meine frisch geknüpften kalifornischen Kontakte auf Eis gelegt wurden, nachdem ich die damaligen Studentenunruhen in Deutschland bei einem Beisammensein vehement verteidigt hatte. Weitere Einladungen blieben leider aus. Erst Jahre später bin ich zu der Einsicht gelangt, dass mein jugendlicher Überschwang wohl Ursache für dieses Missverständnis war. Diese Erkenntnis hat mich bei meinen weiteren Reisen und Begegnungen begleitet. So auch auf einer Fahrt in die Großen Seen der USA und Kanadas.

In Montreal an Bord von MS „Burgenstein“ überraschte mich ein Kanadier mit Norderneyer Wurzeln mit seinem Besuch. Vermutlich arrangiert und ausgeheckt während einer der beliebten Bridge-Abende von unseren Müttern. Der enge Fahrplan unseres Schiffes erlaubte es leider nicht, die überaus herzliche Gastfreundschaft von Michael Schermann in vollen Zügen auszukosten. So blieb letztendlich nur ein flüchtiger Blick auf Montreal und seinem Leben in der Provinz Quebec. Als Koch im deutschen Pavillon war er 1967 mit der EXPO nach Kanada gekommen. Bei der anschließenden Jobsuche verschlug es ihn als Baumaschinenfahrer bis an den Polarkreis. Als eingebürgerter Kanadier hat er die Wurzeln zu seiner alten Heimat nie ganz gekappt. Seine Freundschaften aus der Jugendzeit haben die Jahre überdauert und Besucher von seiner Insel Norderney sind überwältigt von seiner von Herzen kommenden Gastfreundschaft.

Leider war es immer wieder so, dass man wegen der kurzen Liegezeiten der Schiffe oder der anstehenden Arbeit an Bord ehrlich gemeinte Einladungen ausschlagen musste. In Fremantle/Australien zog deshalb die Tochter von Julius Harms unverrichteter Dinge wieder ab. Die Schiffsleitung der MS „Regenstein“ gewährte mir aus verständlichen Gründen keinen mehrtägigen Urlaub für eine Reise in das Landesinnere dieses tollen Kontinents. So blieben letztendlich nur Grüße, die ich dem „lustigen Julius“ (Malergeselle bei der Firma Dinkelmann) nach der Reise von seinem Mädchen ausrichten konnte. Leider ist es mir auch nie gelungen während meiner Einsätze in der Australien-Fahrt Kontakt zu den beiden Töchtern der Familie Haut aufzunehmen. So lieferte ich nach dem jeweiligen Einsatz unverrichteter Dinge die Mitbringsel von Ernst und Mariechen Haut in Norderney wieder ab. Wenig Erfolg hatte ich auch bei dem geplanten Besuch des ehemaligen Lehrers Nietsche, den es an die deutsche Schule in Kobe/Japan verschlagen hatte. Entweder lag es einmal wieder an der kurzen Liegezeit oder die Kontaktaufnahme scheiterte an sprachlichen Schwierigkeiten. Die Höflichkeit der Japaner erlaubt es anscheinend nicht, eine gestellte Bitte oder Frage zu verneinen. Ich erinnere mich gut daran, dass mich die Auskunft nach dem nächsten Briefkasten einmal zu einem längeren, unfreiwilligen Stadtbummel in Tokio nötigte. Die Post habe ich ohne Erfolg dann bei meiner Rückkehr an Bord über die Agentur aufgegeben.

Manchmal spielte bei meinen Begegnungen mit Norderneyern auch der Zufall eine Rolle. Nicht gemeint sind dabei die Zusammentreffen von Insulanern auf Kreuzfahrten der Aida-Flotte oder der sattsam bekannten Urlaubsziele auf den Kanaren oder Balearen. So wollte es der Zufall, dass ich nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel in Sydney in eine, bei den Seeleuten sehr beliebte, Hafenkneipe einkehrte. Bei einem kühlen Bier am Tresen kam ich sogleich mit seinen Sitznachbarn mit den üblichen Gesprächsfloskeln nach dem Woher und Wohin ins Gespräch. Zu meiner Überraschung entpuppte sich einer meiner Tresennachbarn als Australier mit deutschen Wurzeln, dem Norderney durchaus ein Begriff war. Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass es sogar verwandtschaftliche Wurzeln zu unserer Insel gab. Der Schwiegervater seiner auf Norderney verheirateten Schwester war Tierarzt Dr. Pfeiffer. Dessen Söhne wiederum hatten beim Norddeutschen Lloyd in Bremen, meinem Arbeitgeber, als Funker bzw. Steward angemustert. Wir haben dann gemeinsam noch einige Drinks bei Inselplaudereien zu uns genommen. Leider blieb es bei dieser einen zufälligen Begegnung.

Wenn es die Liegezeit des Schiffes in den Häfen erlaubte, wurden seitens der Schiffsleitung und der Reederei-Agentur für die Besatzung Ausflüge geplant und ausgeführt. Auf diese Art und Weise lernte man neben touristischen Attraktionen auch ein wenig Land und Leute der besuchten Länder kennen. In Indonesien, Japan, Costa Rica und Mexiko erstreckten sich diese Exkursionen sogar über mehrere Tage. Doch berichten möchte ich von einem Tagesausflug in Port au Prince/Haiti. Der Hafen selber war wenig spektakulär. Die Folgen diverser Erdbeben und die Armut und Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung waren unübersehbar. Vor Ausflügen im Alleingang wurde seitens unserer Agentur ausdrücklich gewarnt. Ahnungslose Seeleute und viele Touristen waren schon Opfer von Räubern und Trickdieben geworden. So war es dann auch wenig verwunderlich, dass die angepriesene Busreise in das Landesinnere von Haiti eine breite Zustimmung fand. Zudem war der Name des Reisezieles vielversprechend. Nach einer Fahrt durch eine von Landwirtschaft geprägte Ebene erreichten wir die viel gepriesene „Rumburg“. Im Bus war es schlagartig still beim Anblick dieser Hollywood-Inszenierung. Natürlich wurde uns bei diesem mit leeren Flaschen zementierten Kitsch klar, dass es sich um ein Angebot für amerikanische Kreuzfahrer handelte. Die Führung durch die Brennerei und die gratis gereichten Probiergläschen versöhnten dann aber schon die Seeleute aus Deutschland. An der Bar – auch aus leeren Flaschen erbaut – bekamen wir dann noch einen kurzen Einblick in die Historie der ansässigen Rumdynastie. Die Tochter des letzten Rumbarons hatte einen deutschen Fachmann aus der Parfümbranche geheiratet. Zur Freude der amerikanischen Touristen, die sich natürlich ganz besonders von dem vielfältigen Mixturen angesprochen fühlten. Doch auch nicht wenige Besatzungsmitglieder kauften diverse Flaschen dieses grässlichen rumgetränkten Zuckerwassers. Die Bewirtung durch den Chef wurde mit steigenden Umsätzen zusehends persönlicher und ausgesprochen nett. Adressen und Wohnsitze wurden ausgetauscht. Wobei ihn die Erwähnung meines Heimatortes „Norderney“ einen Moment lang sprachlos machte. Doch dann platzte es aus ihm heraus: „Mein Bruder ist der Kurdirektor eurer Insel“. Leider beendete unser Busfahrer, der vor Dunkelheit seine feuchtfröhliche „Fracht“ abliefern wollte, die Rumprobe.
PS.: Zum Zeitpunkt dieser Reise ( 1977) mit MS „Trier“ war Garrelf Remmers bei der Kurverwaltung angestellt. Ich habe dem späteren, allseits geschätzten Kurdirektor Garrelf Remmers (1992 – 1998) von dieser Reise noch eine Auswahl der besten Rumsorten aus der Destille seines Bruders mitgebracht.