Erlebtes, Anekdoten & Seemannsgarn / Verkaufsschlager

Endstation

Organisationstalente

Sprachliches Missverständnis

Verkaufsschlager

Trotz vieler Jahre Seefahrt und dem damit verbundenen Fernweh, hat mich unsere Insel Norderney nie ganz aus ihren Fängen entlassen. Die Liebe zu dieser Insel wurde mir schmerzhaft bewusst, sobald ich heimkehrend von großer Fahrt nicht umgehend meinen Seesack schnüren konnte, sondern im Gegenteil, keine achtundvierzig Stunden später, schon wieder an der vertrauten Küstenlinie entlang in Richtung Rotterdam, Antwerpen oder einem anderen westeuropäischen Hafen unterwegs war. Ganz besonders schwer fiel der Abschied in den Sommermonaten und den frühen Herbsttagen, Freunde und Familie begleitete ich dann in Gedanken an den Strand oder auf dem Fahrradausflug in den Inselosten. Dank einer mehr als verständnisvollen Personalabteilung meines Arbeitgebers in Hamburg, fanden wir ein Gentlemen’s Agreement, welches alle Seiten befriedigte. Fortan waren meine Einsätze auf die Winter – und Frühjahrsmonate terminiert. Sommer und erste Herbsttage gehörten mir und meiner Insel und den dazu gehörigen sportlichen Aktivitäten.

Der Surfsport steckte damals noch in den Kinderschuhen. Ich erinnere mich gut daran, dass wir die ersten Stehversuche meines alten Freundes Orgi belächelten. Ohne Lehrer oder anderweitige Unterweisungen, leistete er damals Pionierarbeit in dieser jungen Sportart. Bald scharrten sich weitere Interessierte um die ersten Boards, Masten und Segel. Der größte Teil der Inselbevölkerung und Gäste bezeichneten diese Stehsegler schlichtweg als Verrückte. Bestärkt fühlt man sich in der Annahme, als in den Wintermonaten zwei dickvermummte Gestalten auf dem ersten Tandembrett durch den fast leeren Hafen segelten und an der Spundwand, gegenüber dem Hafenrestaurants ihr Brett vertäuten und einen wärmenden Drink zu sich nahmen. Der Wirt hatte volles Verständnis für die durchfrorenen Gestalten, schließlich zählte auch er zu den heimlichen Pionieren und Befürworter dieser Sportart. So war es auch nicht verwunderlich, dass ich mich im Sommer zur zweiten Generation der Brettfahrer zählen durfte. Schließlich konnte ich das Angebot des Wirtes aus dem Hafenrestaurant nicht ausschlagen, während seiner Arbeitstätigkeit mich seines sonst verwaisten Surfbrettes anzunehmen. Zumal Hans Ricks gleich zwei Lokale bewirtschaftete. Die Friesenschänke in der Karlstraße wurde das Hauptquartier der Windsurfer. Eine Kneipe steht und fällt bekanntlich mit seinem Wirt. Die Beliebtheit von Hans brachte es mit sich, dass der Laden brummte. Unter einem riesigen Steuerrad, am linken Ende des Tresens, verteidigten seine Windsurfer ihre Stammplätze. An dieser Ecke wurde im Laufe der Jahre so mancher Unsinn und Schabernack ausgeheckt. Freiwillig Platz gemacht wurde allenfalls, wenn sich eines der wenigen Norderneyer Originale die Ehre gab. Ich denke dabei unter Anderem an den Kneipier Hans Tanke oder den Fischer und Wattführer Hinnerk Claussen. Letzterer schnorrte mehr oder weniger elegant bei Gästen und Einheimischen ein „Pferd und ein Kaninchen“. Zuerst wurde dann das Kaninchen, der Schnaps getrunken, damit das Pferd , das Bier, nicht scheut. Seitens der Kurgäste wurde dieses bei ihm übliche Gedeck gerne freiwillig ausgegeben. Fühlte man sich doch schon gebauchpinselt, wenn man neben einem so stadtbekannten Original sitzen durfte. Die Aufforderung an die Surfer zu einer mehr oder weniger freiwilligen Spende war, wenn auch poetisch verbrämt, trotzdem unmissverständlich. Unsere Mädels wurden mit einem anerkennenden „Moi Wicht“ bedacht. Zeigte man keine Reaktion, folgte eine Wiederholung dieses Kompliments. Eventuell noch in leicht abgeänderter Form mit einem gebrummten „Seute Deern“. Wir ließen uns gern mit seinen gezielt gesetzten Schmeicheleien erpressen. Ich erinnerte mich zu gern an seine Wattwanderungen zurück. In der Gästeschar liefen wir rotznäsigen Bengels, stillschweigend geduldet, für ein Stück Speck, also kostenlos, mit. Absoluter Höhepunkt seiner kenntnisreichen Erklärungen war für uns immer die Vorführung mit einer Miesmuschel oder auch eines ausgebuddelten Wattwurms. Vor den sich schauernden Gästen wurde entweder das Innenleben der Muschel bzw. der arme Wurm verspeist. Wir waren dabei in erster Linie auf die entsetzten Gesichtsausdrücke oder die Unmutsausdrücke der Gäste erpicht. Seinen Lebensabend verbrachte er u.a. in ein paar ausgewählten Kneipen. Die Wirte hatten sich auf seine Besuche eingestellt, indem sie seinen Stammplatz mit einem eisenverstärkten Barhocker ausstatteten. Auch sein Fahrrad hatte eine ähnliche Verstärkung erfahren, weil es sonst wohl unter seiner Körperfülle den Dienst versagt hätte.

Vermutlich war es der schwergewichtige Stammgast, der die Surferclique auf eine Idee brachte, die in der Winterzeit für einiges Aufsehen sorgte. Zumindest konnte man im Anzeigenteil der Badezeitung im Januar oder Februar über ein Angebot stolpern, die jeden Fischliebhaber elektrisieren musste. Der angekündigte Verkauf von frischen Schollen, direkt am Hafen hinter dem alten Bootshaus, ließ so manchen Norderneyer das Wasser im Munde zusammenlaufen. Die Initiatoren dieses Verkaufsspektakels schweigen sich darüber aus, wer und wie viele Insulaner mit Plastiktüten oder anderen Behältnissen vor ihrem zweirädrigen Fischwagen erschienen. Kaufen wollte dann aber keiner, die in Fischkisten fein säuberlich geschichteten Eisschollen. Einige der angelockten Fischliebhaber machten empört auf dem Absatz kehrt. Andere wiederum wollten den Anschein erwecken, dass der Zufall sie an Bootshaus und Fischwagen vorbeigeführt hätte. Wobei Plastiktüten und Eimer ihre wahren Absichten verrieten. Der Löwenanteil der gefoppten Zeitgenossen stimmte aber zögernd in das schadenfrohe Gelächter ein und konnte mit einem zum Trost gereichten Schnaps versöhnt werden. Zumindest waren alle Beteiligten um die Erkenntnis reicher, dass es in den Wintermonaten keine Schollen gibt, weil sie sich in tiefere Gewässer zurückziehen.

PS.: Die zweite Sportart hält mich heute noch gefangen. Die Weite unseres schönen Strandes unter dem Segel eines Strandseglers zu erobern ist Adrenalin pur.