Moses auf MS „Breitenstein“

Während der letzten Wochen in der Schiffsjungenschule schrieben das Gros der 86 angehenden Seemänner eifrig Bewerbungsschreiben an die renommierten deutschen Reedereien. Ich beschränkte mich auf eine einzige Anfrage beim NDL ( Norddeutscher Lloyd ) in Bremen. Mein Optimismus schien Früchte zu tragen, als ich noch vor der Abreise aus Elsfleth eine durchaus positive Antwort von der Reederei mit der quittegelben Schornsteinmarke bekam. Dem beigefügten Heuerschein konnte ich entnehmen, dass ich ohne der Familie und Freundin „Adieu“ sagen zu können auf dem MS „Emsstein“, die zählte zu der kleinsten Klasse der Bremer Reederei Flotte, anmustern sollte. In einem Nachsatz des Schreibens wurde mir mitgeteilt, dass die Ausbildungsplätze auf der „Nabob“, dem Kadettenschiff des NDL, leider schon alle besetzt wären. Der sofortige Dienstantritt und das Geschwätz der Befahrenen verführten mich zu einer telefonischen Absage. Eigentlich ein Affront gegenüber meinem zukünftigen Arbeitgeber, wenn man die schlechte Arbeitsmarktsituation der damaligen Zeit in Betracht zieht. Meine fadenscheinige Ausrede, meine Ausrüstung für den ersten Einsatz auf der heimatlichen Insel komplettieren zu müssen, muss demnach sehr überzeugend gewesen sein, weil es durch das Heuerbüro in Bremen zu keiner Absage kam. Zwischen der Abreise aus Elsfleth, Zwischenstop in Norderney und der Anmusterung auf der „Breitenstein“ in Bremen lagen gerade einmal drei Tage. Meinen Heuerschein für dieses Frachtschiff im Nordamerika-Dienst händigte mir Herr Pütz im firmeneigenen Heuerbüro in Bremen aus. Mit anderen angemusterten Besatzungsmitgliedern und Urlaubsvertretern wurden wir per Bus zum Liegeplatz des Schiffes im Übersee-Hafen verfrachtet. Sehnlichst erwartet von der Stammbesatzung, die endlich ihren wohlverdienten Urlaub antreten wollte. Eingewiesen hat mich damals einer meiner Mitbewohner aus der Kammer der Junggrade. Mit vier halbwüchsigen Auszubildenden hausten wir in einer nur wenige Quadratmeter großen Kabine. Neben zwei Doppelstockbetten gab es eine Sitzbank für zwei Personen, zwei Stühle und eine fest verankerte einbeinigen Tisch, die sogenannte Back. Schrankplatz für die eigenen Siebensachen, Fehlanzeige! Die Klamotten mussten auf dem Betriebsgang in abschließbare Spinde verstaut werden. Persönliches, wie Bücher, Schreibutensilien und Radio verblieben meist im Koffer. Mit Einwilligung meiner drei Mitbewohner durfte ich mein Tonbandgerät ein Grundig TK 14L und Radio nebst Zerhacker – an Bord gab es nur Gleichstrom –in dem rechteckigen Bulleyekasten stellen. Leider war die musikalische Berieselung nur von kurzer Dauer. In New York verursachte der durchgebrannte Zerhacker beinah einen Kammerbrand. Als Neuankömmling hatte ich mich ansonsten der nie ausgesprochenen Bordhierarchie zu unterwerfen. Der Wortführer in unserer Unterkunft war ein Jungmann, ein angehender Seemann im zweiten Lehrjahr. Gefolgt von einem Decksjungen, der immerhin schon einige Monate auf der Breitenstein aufweisen konnte. Die unterste Sprosse dieser Erfolgsleiter teilte ich mir mit einem Messejungen, der die Laufbahn eines Stewards eingeschlagen hatte. Letzterer hatte aber schon eine Reise auf diesem Schiff bewältigt. Mit meinen Wünschen und Hoffnungen hatte ich mich also erst einmal ganz hinten anzustellen. So durfte ich z.B. zu Dienstbeginn erst die Koje verlassen, als die Mitbewohner zur Morgentoilette in dem gemeinsamen Duschraum verschwunden waren. Die Enge der Kammer – bei den Matrosen liebevoll „Viermannspuff“ genannt, erlaubte es einfach nicht, dass mehr als allenfalls zwei schlanke Leute auf einmal die Kojen verließen. Wobei meine Mitbewohner natürlich dem Bootsmann, Zimmermann und den Matrosen den Vortritt lassen mussten. Kein Wunder, dass uns die Unterkünfte der übrigen Decksbesatzung geradezu paradiesisch vorkamen. Boots- und Zimmermann wohnten auf dem Hauptdeck Vorkante Brücke in Einraumkabinen. Die Matrosen teilten sich zu zweit eine Kammer, die auf der Backbord oder Steuerbord Seite des Hauptdecks lagen. Auf diesem Mannschaftsdeck wohnten neben dem Koch und einem Kochsmaaten, entweder gelernter Schlachter oder Bäcker, auch noch Maschinenpersonal. Die weiteren Wohndecks teilten sich der Elektriker, Storekeeper, 1. Steward, Ingenieure und Funker, Nautiker und Kapitän. Nicht zu vergessen der chinesische Wäscher „Fritz“, der neben seiner Wäscherei auf dem Achterdeck hauste. Auf allen Frachtschiffen des Norddeutschen Lloyds war jeweils ein chinesischer „Fritz“ für die Wäsche des Schiffes und der Besatzung zuständig. Wobei ich aus Sparsamkeitsgründen auf seine Dienste bald verzichtete, weil jedes gewaschene und gebügelte Kleidungsstück die ohnehin magere Heuer belastete. Bei der Hapag ( Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft), dem Konkurrenzunternehmen aus Hamburg wusch und bügelte der Wäsche-Max auf dem Achterdeck. Diese Namensgebung hatte Tradition und rührte wohl daher, dass sich Hein Seemann nicht die chinesischen Namen merken konnte. Wobei alle Fritzen und Maxen einem Oberwäscher in Hamburg unterstanden, der ihren mageren Verdienst, Heuer bekamen sie keine, am Ende einer Reise um einige Prozente kürzte. Insgesamt hatte die Breitenstein eine 43- köpfige Stammbesatzung. Ferner wurden Kabinen für fünf Fahrgäste angeboten. Jedoch kann ich mich nicht daran erinnern, dass während meiner Ausbildungszeit auf diesem Schiff davon Gebrauch gemacht wurde. Das Fahrtgebiet der Breitenstein, der Nordatlantik, war wegen der bekannten Wetterkapriolen nicht sehr beliebt. Zudem boten die beiden Fahrgastschiffe Berlin und Bremen im Nordatlantik-Dienst entschieden mehr Komfort.

Die Wohnlichkeit unserer Kammer wurde durch zwei Umstände stark beeinträchtigt. Gleich in der ersten Nacht stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass wir unsere Unterkunft mit einer Vielzahl von weiteren Mitbewohnern teilen mussten. Kakerlaken waren allgegenwärtig und raubten mir in den ersten Tagen die nötige Nachtruhe. Abhilfe brachte dann eine Generalreinigung der Kammer, mit anschließender Ausgasung. Letzteres führte allerdings zu heftigen Protesten aus den benachbarten Matrosenunterkünften. Die überlebenden Krabbeltiere hatten sich vor der tödlichen Bedrohung in die direkte Nachbarschaft verzogen. Wesentlich wirkungsvoller waren auf Dauer sogenannte Kakerlakenfallen. Die Vorliebe dieser Insekten für Kaffeepulver machten wir uns zu Nutze, indem wir den Rand einer mit Lockmittel bestückten Kaffeemug mit Fett bestrichen. Durch den so versperrten Fluchtweg dezimierten wir in kürzester Zeit den Bestand dieser unerwünschten Mitreisenden erheblich. Weniger erfolgreich war ich bei meinen Protesten gegen das Rauchen meiner Mitbewohner. In meiner Oberkoje wurde ich völlig eingenebelt. Irgendwann in diesem ersten Lehrjahr habe ich dann entnervt die Segel gestrichen und ebenfalls zu den Glimmstengeln gegriffen. Wobei der Preis von DM 4,50 bis 5,50 für die Stange zollfreier Zigaretten sehr verführerisch war. Trotz alledem bin ich dieser Leidenschaft nicht allzu lange treu geblieben.

Von den ersten Tagen und Wochen meiner Ausbildung zum Seemann habe ich nur sehr lückenhafte Erinnerungen. Seltsamerweise gibt das, aus dieser Zeit vorliegende, Berichtsbuch auch nur dürftige Auskünfte. Kaum vorstellbar, dass die Richtlinien zur Ausbildung zum Matrosen von dem verantwortlichen 1.Offizier und dem Bootsmann so ignoriert wurden. Deckungsgleich mit den Erinnerungen sind meine Arbeiten als Reinigungskraft in den Kammern, den Toiletten, dem Waschraum, der Brücke, der Messe, an Deck und in den Laderäumen. Übereinstimmend auch meine Arbeit als Backschafter bzw. Bedienung von 22 Leuten in der Mannschaftsmesse. Seemännische Arbeiten beschränkten sich während dieser fünf Reisen an die Nordamerika Ostküste auf den Brückendienst unter Obhut des 1. Offiziers. Wobei ich häufig in der Brückennock bzw. auf der Back bei schlechten Sichtverhältnissen Ausguck gehen musste. Fahrzeuge und Nebelsignale waren mit Richtungsangabe in Kompassstrichen zu melden. Bei diesem anstrengenden und langweiligen Gestarre in ein Nichts, in dem Wasserfläche, Horizont und Himmel in einer grauen Suppe verschwimmen, habe ich frierend die dürftige Erstausstattung der Schiffsjungenschule verflucht. So war es auch nicht verwunderlich, dass der erbärmliche Verdienst im ersten Jahr 56 DM Brutto im Monat und 0,78 DM pro Überstunde in einem Bekleidungsgeschäft in der 17. Straße Brooklyn/NewYork bei dem jüdischen Auswandererpaar Aaron und Sarah Friedmann angelegt wurde. Der Renner war ohne Frage der „Norwegische Gesellschaftsanzug“ von Wrangler, bestehend aus hellblauen Baumwollhemd, Jeans, Truckerhandschuhen und Fellmütze mit Ohrenklappen. Nach so einem Einkauf erschien oft genug Sarah in ihrem undefinierbaren Outfit, halb Nachthemd – halb Schlabberkleid und offerierte mit der allerseits bekannten Floskel: „Hab ich noch ein Jeschenkchen für dich“ ein Handtuch. Als Kaufanreiz verwahrte Aaron in seiner Kass noch ein paar echte Silberdollar, den man nach abgeschlossenem Einkauf gegen einen Dollarschein eintauschen konnte. Ich halte diese Erinnerungsstücke an ein liebenswürdig verschrobenes altes Ehepaar noch heute in Ehren. Wobei ich mir den besagten „Norwegischen Gesellschaftsanzug“ erst nach der dritten oder vierten Reise zulegen konnte, weil mir der Funker bei meiner bescheidenen Heuer und unzähliger geleisteter Überstunden natürlich nicht den benötigten Vorschuss auszahlen wollte und konnte. Hinzu kam, dass ich pro Monat einen Ziehschein nach Hause schickte, d.h. von meiner Heuer ging monatlich ein festgelegter Betrag auf ein Sparkonto in der Heimat. Der Rest der nicht in Anspruch genommenen Heuer wurde heimkehrend von einem Geldboten der Reederei gegen Unterschrift an Bord bar ausgehändigt. Hinderlich bei den Träumen von angemessener Arbeitskleidung war auch noch der denkbar ungünstige Wechselkurs von 4,25 DM pro Dollar. Notgedrungen trug ich während der Herbst – und Winterreisen mehrere Schichten Klamotten unter der dürftigen Elsflether Erstausstattung. Not macht bekanntlich auch erfinderisch. So wurde der Ausguck auf der Back fast erträglich, wenn man mit dem Füßen auf einem Sonnenbrenner stand, eine mehrstrahlige Beleuchtung, die bei Nachtarbeit im Hafen zusätzlich in die geöffneten Luken gehängt wurde. Zum weiteren Kälteschutz wickelte man sich notdürftig in das unter der Monkey-Back vorsorglich gelagerte Rabbeltuch ein. Dieses Sackleinen wurde ansonsten nur bei Ladungsarbeiten benötigt. Die Traute oder Abgebrühtheit einiger Matrosen unter der Monkey-Back oder sogar im Kabelgatt die Zeit zu verschlafen hatte ich natürlich nicht. Wer wollte schon wegen so einer Lappalie gekündigt werden. So habe ich mir während mancher Seewache frierend und fluchend beim Ausguck gehen auf der Back die Beine in den Bauch gestanden.

Beliebt war bei dem Wachdienst und guten Sichtverhältnissen auch die Pflege aller Messinggegenstände auf der Brücke und dem Peildeck. Neben dem Mutterkompass und den Töchtern in den Nocken, gab es diverse andere Messinggegenstände die immer wieder auf Hochglanz gebracht werden mussten. Ab und an wurde während der Seereise über den Atlantik auch der „eiserne Steuermann“ und die Automatik ausgestellt und man nahm hinter dem Ruderbock Aufstellung, um das Schiff per Hand zu steuern. Eine ermüdende Beschäftigung, die von Menschen ohne Phantasie wahrscheinlich bestens ausgeführt wird. Ich habe bei diesen Übungen sicher recht häufig meinen Namen in das Kielwasser geschrieben. Gott sei Dank gab es erst Jahre später diese verräterischen Kursschreiber. Damit bei den unwillkürlich abschweifenden Gedanken der zu steuernde Kurs nicht verloren ging, war direkt vor dem Steuerstand in Augenhöhe ein Kasten montiert, auf dem die Gradzahlen eingedreht werden konnten. Der Spitzname dieser Gedächtnisstütze ist mir leider entfallen.

Als Decksjunge war man, wie so schön gesagt, Mädchen für alles. Zur Erhaltung und Sauberkeit des Schiffes gehörte auch das Farbewaschen.Sehr beliebt als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die gesamte Decksbesatzung, wenn das schlechte Wetter Tätigkeiten an Deck nicht erlaubte. In den oft stürmischen Herbst- und Winterreisen glänzten die Betriebsgänge und Kammern geradezu vor Sauberkeit. Mit dem äußerst aggressiven Industriereiniger (P 3) ging es Verschmutzungen an den Kragen. Kammerwänden und Schotten wurden mittels eines Twistes (Putzwolle) oder mit dem Leuwagen (langstieliger Schrubber) bzw. dem Halbmond (kurzstieliger halbkreisförmiger Schrubber) abgeseift. Anschließend wurde die Seifenlauge mit Frischwasser abgespült und über die Speigatten in das Meer entsorgt. Die Aggressivität dieses Reinigers ist mir eigentlich erst bewusst geworden, als ich meine verschmutzten Socken in einem Eimer mit dieser Seifenlauge vergessen hatte. Nach zwei oder drei Tagen hatte sich die Handwäsche in Wohlgefallen aufgelöst. Das aus Segelschiffzeiten bekannte Deckschrubben kam so gut wie nie vor. Lediglich die Wohndecks waren noch beplankt und wurden ab und an von den Matrosen mit dem Deckwaschschlauch abgewaschen. Abgelöst wurde die Decksreinigung von den Rosthämmern, Stecheisen, Winkelschabern und Rostmaschinen. Reise für Reise wurden große Teile des Ladedecks und der Back entrostet und mit mehreren Anstrichen konserviert. Das Fahren der Rostmaschinen war bei der Besatzung äußerst unbeliebt. Angetrieben durch einen Motor rotierten an einer langen Welle abgeschirmte Stahlmuttern. Neben dem ohrenbetäubenden Krach war man ständig dem feinen Roststaub ausgesetzt, der sich in Kleidung und Poren festsetzte. Sitzend auf einem Fender, dem Matrosenei, wurde die angehobene Welle mit den rotierenden Muttern im Kopf der Maschine mit dem Fuß über das rostige Deck hin und her geschoben. Die Matrosen schanzten zu gerne diese Arbeit den Junggraden zu. Letzteres erweckte dann, sehr zur Freude des Bootsmanns, aber auch den Ehrgeiz der Auszubildenden. Die geschafften Quadratmeter machten einen zum ungekrönten Rostmaschinenfahrer. Die anschließenden Malerarbeiten (das Deck rollen) übernahmen dann die Matrosen. Wobei wir allenfalls die Ecken und Kanten absetzen durften. Ein ungeschriebenes Gesetz besagte, dass Arbeiten mit weißer Farbe nur von den Matrosen ausgeführt werden durften. Ähnlich verhielt es sich mit der Bedienung des Ladegeschirrs. Der Ehrgeiz eines guten Bootsmanns war es, das sein Schiff nach Beendigung einer Reise „in Farbe“ war, d.h. bei Einlaufen Bremen hatte der Dampfer von der Mastspitze bis zur Wasserlinie in Lloyd-Farben zu glänzen. So war es auf der Weser nicht unüblich beim Stellen des Ladegeschirrs unberührte Stellen, wie die Baumlager, in Windeseile zu übertünchen. Um dem Anspruch der Reederei Genüge zu tun, wurde allzu oft gefuscht. Roststellen wurden unbearbeitet übermalt – sozusagen totgemalt. Rostlöcher in Lüftern mit Pflaster zugeklebt und angemalt. Hauptsache das Schiff war „in Farbe.“

Unzählige Stunden waren meine Mitstreiter und ich damit beschäftigt die Ladetanks und Laderäume zu säubern. Das Säubern der Tanks ging meistens unter der Oberaufsicht des Zimmermanns über die Bühne. Mit heißem Wasser und Stahlbürsten ging es Fettresten und Roststellen zu Leibe. Die Trinkwassertanks wurden unter seiner Kontrolle ausgewaschen und die Oberfläche der Schotten, wenn nötig, ausgebessert, d.h. auszementiert. Der Zimmermann war es auch, der bei Ladungssicherung die Anweisungen gab. Mit Tauwerk wurde freistehende Ladung seefest verzurrt und gelascht. Die Notwendigkeit dieser Ladungssicherung wurde mir während einer der stürmischen Reisen über den Atlantik drastisch vor Augen geführt, als mehr als ein Dutzend großer Fässer mit Chemikalien von einer überkommenden See trotz der Sicherung vom Achterdeck gewaschen wurden. Die Handhabung von Drähten, Spannschrauben und Fröschen lernten wir bei der Sicherung von Militärgut wie Panzer und Haubitzen für die Bundeswehr kennen. Unter größter Geheimhaltung, mit vielen unauffälligen Männern in Lodenmänteln, wurde das Zeug in Nordenham gelöscht.

Für die weiteren Arbeiten bei der Be – bzw. Entladung des Schiffes war der Bootsmann zuständig. Letzterer bekam natürlich seine Order vom 1. Offizier bzw. dem Ladeoffizier. So wurde durch die Decksbesatzung das Stauholz zu handlichen Hieven gestapelt und zur weiteren Verwendung an Deck oder in die Ladeluke gesetzt. Wobei man vorher mit einem Zimmermannshammer rostige Nägel aus den Brettern zog. Die Bootsleute legten Wert darauf, dass der Stauholzstapel auf der Vorderseite eine gleichmäßig glatte Fläche bildete. Zwischen den Häfen wurden die Luken ohne Helm, Arbeitshandschuhe und Mundschutz von der Decksbesatzung gereinigt. Wobei der grobe Dreck anschließend in Netzbrooken gepackt an die Außenseite der Reling gehängt wurde. Zusammengehalten wurde die Netzbroook mit dem Müll durch einen Tampen mit aufgesetzten Slipstek, der sich durch Zug sofort wieder lösen lässt. Der feinere Dreck (Fegsel) wurde in mit Rabbeltuch ausgelegte Netzbrooken geschaufelt und ebenfalls Außenbords gehängt. Kaum hatte der Lotse das Schiff verlassen wurde der Slipstek gelöst, bzw. das Tauwerk mit einem Bordmesser durchtrennt und der Müll entschwand in den Fluten. In Sachen Umweltschutz war man in diesen Jahren noch völlig gedankenlos. So wurde auch der täglich anfallende Abfall und Dreck aus dem eigentlichen Bordbetrieb, während der Hafenliegezeit in einer an Deck stehenden Fullbrass (Müllbehälter) gesammelt und anschließend, außer Sichtweite des Hafens und der Behörden in das Meer gespült. Auf diese Art und Weise lernte man zumindest sehr schnell Luv und Lee zu unterscheiden, wenn man bei Sauwetter den Inhalt des gerade geleerten Papierkorbes an Deck wieder auflesen durfte. Restmüllbehälter oder Pfandflaschen waren in dieser Zeit noch Fremdwörter. So bin ich übrigens davon überzeugt, dass man mit einem Ortungsgerät für Bierflaschen ohne weitere Hilfe den Atlantik überqueren könnte. Mit dem Einsatz der ersten Containerschiffe und rigorosen Strafen bei Nichteinhaltung gesetzlicher Bestimmungen setzte auch bei der Handhabung des Umweltschutzes ein Umdenken ein.

Zu den unbeliebtesten Aufgaben der Decksbesatzung gehörte die Konservierung des stehenden Gutes des Ladegeschirrs. Jeder Bootsmann hatte sein ureigenstes Rezept beim Anrühren der Konservierungspampe, die die Drähte vor Rost schützen und ihre Geschmeidigkeit bewahren sollte. Unter der Oberaufsicht eines Matrosen wurde meistens der kleinste und somit auch leichteste Decksjunge mittels eines Bootsmannstuhls an den zu bearbeitenden Priventer oder Stander hochgezogen. Die Drähte wurden dann mittels eines in die Labsalbe eingetauchten Twistes eingeschmiert. Außer den weichen und geschmeidigen Händen sprach nach der Prozedur nichts für die eigene Salonfähigkeit. Die Waschmaschine hatte anschließend oft große Mühe mit den Teer – und Wachsanteilen in der Arbeitskluft.

Bei den An – und Ablegemanövern unter Oberaufsicht von 2. Offizier wurde mir als feste Station die Back zugeteilt. Als Moses hatte ich die Wurfleinen aufgeschossen parat zu legen. An den Pollern wurden Tau – und Drahtstopper eingeschäkelt, mit denen man die mit dem Spill stramm durchgeholten Leinen oder Drähte abfangen und anschließend auf den Pollern belegen konnte. Beim Ablegen musste man wiederum die mit dem Spill eingeholten Leinen und Drähte akkurat in Buchten aufschießen und ablegen. Im Winter ein ganz besonderes Vergnügen, wenn das unhandliche Manilatauwerk steif gefroren war. In den Häfen war darauf zu achten, dass auf jeden Festmacher nach Ende des Anlegemanövers ein Rattenblech gesetzt wurde. Diese in der Mitte geteilten runden Bleche wurden so auf die Leinen gesetzt, dass die Nager nicht über diese Verbindung zum Land an Bord kommen konnten. Vor der Reise über den Atlantik wurden alle Festmacher sicher unter Deck verstaut und die Drähte per Hand aufgetrommelt.

Bei den Lade – und Löscharbeiten wurde man häufig als Lukengast oder Tallymann eingesetzt. Bei der Oberaufsicht über die Hafenarbeiter hatte man u.a. die Stauanweisungen des Ladeoffiziers im Auge zu behalten. Beim Tallieren wurde die genaue Anzahl der geladenen Güter wie Tabakrollen in Morehead City oder Baumstämme in Norfolk schriftlich festgehalten. Zudem sollte man Ladungsaufbrüche und Diebstähle durch die Hafenarbeiter verhindern und melden. Lehrgeld hat bei dieser Aufgabe in den Jahren der Ausbildung wohl jeder bezahlt. Der Raffinesse einiger Stauer war man einfach nicht gewachsen, um Diebereien zu verhindern. Die Anzahl des zu tallierenden Stückgutes stimmte allzu häufig auch nicht mit den Zahlen des Obertallymannes an Land überein, weil man eventuell einen durch Übermüdung bedingten Aussetzer gehabt hatte. Überstunden waren an der Tagesordnung und auch im eigenen Interesse. Man wollte ja schließlich auch einmal den Landgang auskosten. Meine Erwartungshaltung war damals riesengroß. Die Enttäuschung folgte beim ersten Anlaufen New Yorks. Vorbei an der Freiheitsstatue („Grünspan-Elli“) und der imposanten Skyline, verholten wir an eine ziemlich verkommene Pier in Brooklyn. In direkter Nachbarschaft war eine qualmende Müllverbrennungsanlage. Die Sehenswürdigkeiten U-Bahnstunden von unserem Liegeplatz entfernt. Der einzige Lichtblick war der Plünnenladen der Friedmanns. Kneipen oder Diskotheken waren somit Fehlanzeige. Außerdem hatte man noch nicht das erforderliche Alter von 21 Jahren für derartige Vergnügungen. Der von der Immigration nach dem Einlaufen ausgestellte Landgangsausweis – meine persönlichen Daten und Fingerabdrücke sind seit diesem Tag „Big Brother“ bekannt – musste auf Verlangen vorgezeigt werden. In der ohnehin knappen Freizeit habe ich das Abenteuer New Yorker U-Bahn gewagt. Trotz einiger Irrfahrten habe ich manche Hauptattraktionen, das Empire State Building, Time Sqare, Fifth Avenue und Central Park erkundet und konnte so meine erste Enttäuschung revidieren. Neben der augenscheinlichen Sauberkeit war ich auch von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der New Yorker überrascht. In Greenich entdeckte ich dann die Musik – Kneipe „Your father`s mustage“, die ich auf späteren Reisen noch gerne besucht habe. Die wechselnden Bands mit ihrem Blues – und Skifflerepertoire haben meinen Musikgeschmack maßgeblich beeinflusst. Damals fehlte mir, trotz vieler geleisteter Überstunden, das nötige Kleingeld für solche Landgänge. Wobei der Fahrpreis für die Subway das kleinste Übel war. Unter den deutschen Seeleuten war bekannt, dass man die Drehkreuze anstatt eines Quaters (Vierteldollar) auch mit einem deutschen Pfennig füttern konnte. Angeblich schickte die Stadt New York jedes Jahr einige Säcke dieser Glücksbringer zurück nach Deutschland. Bei der Rückfahrt von einer meiner Sightseeingtouren habe ich auf eine etwas andere Art für meine Schwarzfahrten zahlen müssen. Eine Station vor meinem eigentlichen Ziel in Brooklyn habe ich, in der Annahme das Ziel erreicht zu haben, Zug und Bahnstation verlassen. Schalter und Zustieg waren aber schon geschlossen. Diesen Umstand bemerkte ich erst auf der einsamen und völlig menschenleeren Straße. Ich bin dann vier Stunden durch diesen damals wenig vertrauensvollen Stadtteil geirrt, mit der Angst vor einem Überfall im Nacken. Nach so einem unfreiwilligen nächtlichen Spaziergang konnte selbst mein „Viermannspuff“ an Bord Heimatgefühle und Geborgenheit vermitteln. Die strengen Auflagen der Einwanderungsbehörden in Sachen Hygiene standen im krassen Widerspruch zu dem Zustand der Hafenanlagen der Ostküste. In Baltimore machten wir zur Übernahme einer größeren Menge Getreides längsseits eines Maissilos fest. Geradezu gruselig war die Anzahl der Ratten, die sich in Augenhöhe unseres Hauptdecks auf dem Dach des Silos tummelten. Die Mutprobe das Gebäude zu erklimmen und über die ausgelegten Grätings zu rennen wurde nur von zwei Decksjungen angenommen. Bei dem Bootsmann weckten die vielen Nager den Jagdtrieb. Mittels einer langen angespitzten Malerrolle versuchte er mit mehr oder weniger Erfolg die Viecher zu erlegen.

Das schöne Hafenstädtchen Morehead City in North Carolina ist mir leider auch negativ in Erinnerung geblieben. Am Bahnhof gab es für Weiße und Schwarze gesondert ausgeschilderte Ein – und Ausgänge. Wobei das Eingangsschild „Coloured people“ am Bahnhof mittlerweile im Museum an eine Zeit mit vielen Vorurteilen gegenüber den schwarzen Mitbürgern erinnern sollte.

In meinem Berichtsheft finden sich neben dem täglichen Arbeitsablauf auch von kleinere und größere Tragödien. So geriet in Rotterdam die Ankerkette eines Kümos in die Schraube unseres Schiffes, sodass wir nicht auslaufen konnten. Ein Taucher behob den Schaden. In Philadelphia musste wahrscheinlich eine Baufirma tätig werden, um die beim Anlegemanöver eingedrückte Schuppenwand wieder zu errichten. Im Holzhafen von Bremen wurde bei einem Sturm ein Poller aus den Pierfundamenten gerissen, auf dem sämtliche Achterleinen unseres Schiffes festgemacht waren. Mit dem Heck driftete die Breitenstein in die Böschung des gegenüberliegenden Ufers. Für die Mitarbeiter einer großen Kaffeefirma(Kaffee HAG) war es anscheinend eine willkommene Abwechslung in ihrem Büroalltag. Sie drückten sich an den Fenstern die Nasen platt. Ein zur Hilfe eilender Schlepper beendete das Schauspiel. Hinter der Notiz vom 17. Februar 1962 verbirgt sich den Hamburgern im Gedächtnis gebliebene Flutkatastrophe. An Bord unseres Schiffes haben wir von den tragischen Ereignissen so gut wie nichts mitbekommen. Der heftige Sturm drückte das Schiff an die unter den Wassermassen verschwundene Pier. Die zusätzlich ausgebrachten Leinen und Festmacherdrähte wurden ständig kontrolliert und, wenn nötig, gefiert. Andere Schiffe, unter anderem das schon erwähnte Kadettenschiff „Nabob“, hatte der Sturm losgerissen und sie wurden rechtzeitig von den alarmierten Schleppern im freien Wasser gehalten. Über die Nachrichten im Radio erfuhren wir von den vielen Opfern dieser Jahrhundertflut. Gebrochene Deiche, überflutete Felder und gestrandete Schiffe haben wir nach verschobener Abreise in Augenschein nehmen können.

Eine Randnotiz in meinem Berichtsbuch gibt einen Hinweis auf fragwürdige Methoden bei der Ausbildung der Junggrade. Vermutlich war es die sadistische Ader eines unfähigen Bootsmannes, der uns Junggrade bei schlechtesten Wetterverhältnissen zu völlig unsinnigen Arbeiten unter die Back in das Kabelgatt schickte. Schon der Weg zu diesem angeordneten Arbeitsplatz war trotz gespannter Strecktaue lebensgefährlich. Das rollende und stampfende Schiff machte jede natürliche Fortbewegung unmöglich. Ohne Deckungsmöglichkeit war man auch vor der überdampfenden See nicht sicher. Bei der oft überstürzten Flucht in die Trockenheit des Kabelgatts mit seiner Farblast und der Werkstatt des Zimmermanns, vergaß man alle vorher eingetrichterten Vorsichtsmaßnahmen. Entweder man schlug sich an den überhöhten Süll der Eingangstür die Schienbeine auf oder jumpte gerade in dem Moment der Schwerelosigkeit, wo das Schiff in ein Wellental eintauchte, über dieses Hindernis und der Kopf machte eine schmerzhafte Bekanntschaft mit dem eisernen Rahmen der Eingangstür. Die angeordneten Arbeiten waren von einer absoluten Sinnlosigkeit und zeugten von einem unverkennbaren Sadismus dieses Zeitgenossen. Grätings zu malen oder Spannschrauben bei schlechtesten Wetterbedingungen zu fetten, ist wahrhaftig kein Vergnügen. Die Gerüche aus Farben und Fetten und das Gefühl in einem außer Kontrolle geratenen Fahrstuhl zu sitzen, trugen nicht unbedingt dazu bei seefest zu werden. Zeitweise habe ich mir die Seele aus dem Leib gewürgt. Wesentlich schlechter ging es während einer stürmischen Atlantiküberquerung einem unserer Messejungen, der sich nach ständigen Schikanen und der Seekrankheit mit Selbstmordgedanken befasste. Nachdem der Sprung über die Verschanzung gerade noch verhindert werden konnte, wurde er in unsere Kammer eingesperrt. Wobei die Knebel des Bulleyes ausbruchssicher angedreht wurden. Trotz der angeordneten Kontrollen konnte nicht verhindert werden, dass ich den unglücklichen und kranken Kammergenossen röchelnd in seiner Koje vorfand. Er hatte versucht sich mittels eines Schnürsenkels an seiner Kojenlampe zu erhängen. Mein Hilferuf wurde aus der benachbarten Matrosenkammer nur mit dem Wort „abschneiden“ kommentiert. Letzteres habe ich dann auch getan. In New York hat man ihn lieber mit dem Passagierdampfer „Berlin“ nach Hause geschickt. Die Matrosen der damaligen Zeit waren durchweg harte Burschen. Dabei aber gerecht und freundschaftlich im Umgang mit den Junggraden. Trotz ihrer dürftigen Entlohnung wurden wir ab und an sogar zu einem Umtrunk eingeladen. Natürlich hatten sie auch ihren Spaß daran das Jungvolk in den April zu schicken. So mancher Decksjunge wurde während der Brückenwache in die Maschine geordert um einen Kompaßschlüssel zu holen. Das Maschinenpersonal war mit diesem Scherz durchaus vertraut und händigte dem diensteifrigen Moses einen der riesigen Ringschlagschlüssel aus. Spätestens bei einer daraufhin angeleierten Umtauschaktion merkte selbst der begriffsstutzigste Auszubildende, dass er das bombenschwere  Handwerkszeug lediglich zur Freude der Besatzung durch sämtliche Decks des Schiffes geschleppt hatte. Diese Einsicht hatte letztendlich auch der Moses, der während der Seereise am Sonntag auf der Back den Klöppel der Schiffsglocke schwang um das Wochenende einzuläuten.

Mir ist es heute noch ein Rätsel, wie diese Seeleute mit einer Heuer von Brutto DM 360 und DM 3,10 pro Überstunde sich und ihre Familie ernähren konnten. Erst 1966 gab es die längst überfällige Heuererhöhung, 680 DM bei 50 bereits enthaltenen Überstunden und 3,80 pro Überstunde. Erinnern kann ich mich gut an den wortkargen Kabelgattmatrosen Atsche und den kurz vor der Pensonierung stehenden Willi Jannek. Letzterer hatte eine Vorliebe für Wildwestromane, die er erlaubt oder unerlaubt in den Kammern der Besatzung konfiszierte. Wir haben uns dann die Mühe gemacht und die gelösten Seiten aus mehreren Heftchen willkürlich zusammengeheftet. Danach hat er seine Diebereien eingestellt. Eine andere Angewohnheit konnte selbst unser Alter ihm nicht austreiben. So summte er während der vierstündigen Wache in der Nock ständig irgendwelche Melodien, die allen beteiligten Wachgängern fürchterlich auf die Nerven gingen. Das Verbot seiner musikalischen Darbietungen durch den Kapitän kommentierte er mit dem Satz: „Böse Menschen haben keine Lieder.“

Zwischen den fünf Reisen auf der Breitenstein gab es während der Liegezeit in Deutschland eine Urlaubsvertretung, Zeit für die Familie, die Freundin und den Freundeskreis. Zeit für Geschichten und kleinen und großen Aufschneidereien. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass die viele körperliche Arbeit auch Vorteile mit sich bringen kann. Konnte ich doch endlich einen Schläger und Quälgeist aus meiner Kindheit in die Schranken weisen. Wenn mir der Abschied von der Insel auch nie ganz leicht gefallen ist, so habe ich Heimweh nie gekannt. Auch an Festtagen hat mich so ein Gefühl nie heimgesucht.

Angerührt hat mich eine Geste von der Freundin unseres 2. Offiziers zu meinem ersten Geburtstag an Bord eines Schiffes. In Philadelphia überreichte das Paar dem Moses Jochen Pahl einen kleines Büchlein mit Bild und persönlicher Widmung. Neben den Silberdollars aus Friedmanns Plünnenladen und dem Berichtsbuch gehören diese Ringelnatz Gedichte zu den schönsten Erinnerungsstücken, die ich aus diesem ersten Jahr der Seefahrtszeit habe.