Fujiko

Die Fernostreisen mit den Kombischiffen und Stückgutfrachtern zeichneten sich dadurch aus, dass die Liegezeiten in den Häfen Malaysias, Indonesiens, Chinas, den Philippinen und Japans  sich fast immer über einige Tage und Nächte erstreckten. Zeit also für die geliebten Landgänge und den damit verbundenen Einkaufsbummel oder Kneipenbesuch.  Seitens der Reedereiagenturen oder kirchlichen Seemannsmissionen wurden auf Wunsch auch Sightseeing-Touren organisiert und durchgeführt. Die zwei-bis dreitägigen Busreisen durch Java bzw. Sumatra sind unvergessen. Ich selber habe es eigentlich immer vorgezogen zu zweit, zu dritt oder auch alleine Land und Leute zu erkunden. Die Seemannsheime mit ihrem christlichen Standardprogramm, Messe, Tischtennis, Tischfußball usw., haben mich nur selten in ihren Bann gezogen. Wobei ich die aufopferungsvolle Rolle vieler Seemannspastoren durchaus nicht schmälern möchte. Den häufig angebotenen „shuttleservice“ Schiffsliegeplatz – Stadtzentrum habe ich immer gerne wahrgenommen, doch an der Endstation trennten sich unsere Wege. Meine Einkaufsaufträge von Freunden, Bekannten und meine Neugier bescherten mir viele Zufallsbekanntschaften, die sich  in einigen Fällen zu langjährigen Freundschaften entwickelten. In Penang/Malaysia war es ein  chinesischer Elfenbeinhändler, dessen Gastfreundschaft und Vertrauen  ich über Jahre genießen durfte. Die Feilscherei um die eine oder andere Schnitzerei wurde zur Nebensächlichkeit, wenn wir in einer Ecke seines Ladens bei unzähligen Schälchen grünen Tees über Gott und die Welt geredet und debattiert hatten. Oft genug habe ich auf dem letzten Drücker seinen Laden verlassen, ohne auch nur ein Stück aus seinem reichhaltigen Angebot gekauft zu haben. Das Vertrauen ging so weit, dass er mir wunderschöne Schnitzereien per Ratenzahlung überlassen wollte. Das größte Kompliment machte er mir mit der Bemerkung, dass ich in meinem vorherigen Leben sicher Chinese gewesen sei. Meine hartnäckige Feilscherei muss wohl Eindruck auf ihn gemacht haben. Diese Freundschaft habe ich eifersüchtig gehütet und nur mit ganz wenigen Freunden geteilt. Wobei meine Abneigung in Sachen Ratenzahlung bei einem der letzten Penang-Besuche sehr auf die Probe gestellt wurde. Zwei  geschnitzte Elfenbeinstempel, auf denen jeweils eine Schildkröte thronte, hatten es mir angetan. Bei der damaligen Ebbe in meinem Portmonee hätte ich schweren Herzens auf dieses wunderschöne Stempelpärchen verzichten müssen, wenn nicht mein alter Freund Schorsch in die Bresche gesprungen wäre. Auch er hatte mit den Schnitzereien geliebäugelt. So kauften wir je ein Exemplar. Spätere Versuche das Pärchen zu vereinen schlugen fehl. Weder er noch ich waren bereit, das jeweilige Exemplar nach Norderney bzw. Hamburg zu geben. Wobei Schorsch mir glaubhaft versicherte, dass sein Stempel, zu gegebener Zeit meinem Sohn Hauke als Erbe überlassen würde.

Viel Gastfreundschaft habe ich auch in Japan erfahren. In Kobe besuchte ich während jeder Reise eine Familie, die  in der überdachten Hauptgeschäftsstraße „Motomachi“ ein Porzellangeschäft unterhielt. Bei jedem meiner Besuche wurde mir zum Abschied ein kleiner Sakebecher aus feinstem Porzellan überreicht. Leider fiel dieses schöne Geschäft dem großen Erdbeben im Januar 1995 zum Opfer. Wahrscheinlich auch das kleine Speiserestaurant, in dem ich meine erste Erfahrung mit der japanischen Küche machte. Ich erinnere mich gut an die beiden kichernden Mädels, die mir die Speisekarte reichten. Leider hatte ich nicht ein Wort der begleitenden Erklärungen verstanden. Die japanischen Schriftzeichen gaben mir zudem Rätsel auf. So habe ich blind auf eine Zeile getippt und bekam nach einiger Warterei meine erste japanische Mahlzeit serviert. Die in einem Schälchen und Stäbchen kredenzte dickflüssige Linsensuppe mit undefinierbarer Einlage habe ich, ohne eine Miene zu verziehen,  mit Todesverachtung heruntergeschlürft. Auch in Japan wollten sich dabei nicht die richtigen Gaumenfreuden einstellen.

Die Gastfreundschaft und die Gaumenfreuden  eines japanischen Lotsen, während der Fahrt durch die großen Inlandseen zwischen Honshu und Shikoku, haben wir ungewollt auf eine Bewährungsprobe gestellt. Beim Verzehr eines typischen deutschen Mittagsmahles werde ich nie sein entsetztes Gesicht vergessen, als er auf die Salatbeilage mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete und stammelte: „No likie, no likie“. Wer mag auch schon einen toten   marinierten Regenwurm.

Bei einem meiner Landgänge in Yokohama bin ich Fujiko über den Weg gelaufen. Nach der ziemlich ermüdenden Pflastertreterei, in den vielen Einkaufspassagen dieser Stadt, steuerte ich das unter Seeleuten bekannte und geliebte „Peanuts“ an. Wobei dieser Musikladen in den Nachmittagsstunden auch gerne von vielen einheimischen Jugendlichen frequentiert wurde. So herrschte auch an diesem Tag drangvolle Enge. Nach einigem Suchen fand ich einen freien Platz an einem Zweiertisch. Mir gegenüber saß eine zauberhafte Japanerin, die mich nach einigen Höflichkeitsfloskeln mit bestem Schulenglisch ausfragte. Ich habe mich damals wohl auf Anhieb in dieses Mädel verliebt. Wobei meine Gefühle wohl erwidert wurden, zumal wir das Lokal Hand in Hand verließen. Am nächsten Tag erschien sie pünktlich zu unserer Verabredung. Unweit unseres Liegeplatzes wartete sie in einer schwarzen Limousine auf mein Erscheinen. Der Chauffeur dieser Nobelkarosse setzte uns in der Innenstadt ab. Einzelheiten dieses Stadtbummels sind mir Dank meiner Begleitung völlig entfallen.

Dieses  „Abhol-Ritual“ wiederholte sich während unserer Liegezeit in Yokohama Tag für Tag. Die neidvollen Blicke und Reden erreichten ihren Höhepunkt, als mich Fujiko nach unserer Weiterfahrt nach Tokio auch dort an der Pier erwartete und mit der schwarzen Limousine entführte. Natürlich habe ich es an Bord nicht breit getreten, dass sie in Tokio bei einer großen Filmgesellschaft arbeitete und anscheinend durch Beziehungen Zugriff auf den Wagenpark hatte. In Tokio haben wir, die hübsche Japanerin mit dem langnasigen Schlacks aus Deutschland, “Die Ginza“, die berühmte Einkaufsmeile und den Tokio Tower unsicher gemacht. Auf der Aussichtsplattform waren wir ständig von Schulklassen umringt, die unbedingt Fotos von uns machen wollten.

Entführt hat sie mich auch zu ihren Eltern, die außerhalb der Großstadt auf dem Lande lebten. Trotz sprachlicher Barrieren wurde ich überaus herzlich aufgenommen und mit Geschenken für meine Eltern auf der fernen Insel Norderney überhäuft. Der Abschied war dann auch dementsprechend schwer. Wir haben uns beide mit dem baldigen Wiedersehen getröstet.

Anscheinend weckte diese kleine Liebesgeschichte und das große schwarze Auto mit dem Fahrer bei einigen Leuten an Bord unstillbare Neidgefühle. Auf der nächsten Reise wurde der Landgang in Yokohama und Tokio gestrichen. Der Bootsmann verdonnerte mich zur Nachtwache und anderen unsinnigen Arbeiten, die mich an das Schiff fesselten. Selbst Telefongespräche versuchte man zu vereiteln. Wir waren beide untröstlich.

Monate später habe ich mich mit einem Freund, bei einem Landgang in Tokio, per U-Bahn und Taxi bis zu ihrem Arbeitsplatz durchgefragt, es gab dann ein tränenreiches Wiedersehen. Unter Anteilnahme sämtlicher Sekretärinnen wurde mir mitgeteilt, dass Fujiko nach langer Warterei mich gegen einen langen Schlacks aus den Vereinigten Staaten ausgetauscht hatte.

Nachtrag

Auf der von meiner Frau Heike liebevoll und aufwendig ausgerichteten Feier zum 65-zigsten Geburtstag gab es einunerwartetes Wiedersehen. Der Leser ist gehalten, jetzt nicht an Rosamunde Pilcher oder Uta Danella zu denken. Im Arbeitszimmer, in einem der Bücherborde, standen sich nach langer Trennung zwei Schildkröten gegenüber. Mein alter Freund Schorsch hatte klammheimlich diese Zusammenführung arrangiert.