Freundschaften

Natürlich bildeten sich innerhalb der Besatzungen Cliquen und Interessengemeinschaften. Viele dieser Gruppen und Grüppchen hatten einen traditionellen Hintergrund und hüteten eifersüchtig ihre Eigenarten und Privilegien. Doch in der Not, und wenn es die Situation erforderte, wuchsen Offiziere und Mannschaften zu einer Kameradschaft zusammen, die von Hilfsbereitschaft und Offenheit geprägt war.

Diskriminierung und Fremdenhass sind mir in meiner Seefahrtszeit eigentlich nie begegnet. Natürlich gab es, unabhängig von Herkunft und Nation, immer auch Stinkstiefel, Säufer und Faulpelze. Ich selber habe mir durchweg positive Erinnerungen bewahrt. So würde ich zu gerne ehemalige türkische Matrosen, auch wenn mir die Namen entfallen sind, in Rize oder Cayeli am Schwarzen Meer besuchen. Oder auch die Pakistanis, mit denen ich über Monate auf der „Fulda Express“ so manche Mahlzeit gemeinsam verzehrt habe. Nicht zu vergessen die Südseeinsulaner von den Gilbert Islands, die uns mit ihrer Natürlichkeit und Naivität verzauberten. Eigentlich erinnere ich mich nur an einen kläglichen Versuch von Diskriminierung. So war bei der Anmusterung auf einem der Großcontainerschiffe im Hamburger Hafen ein anonymer Schmierfink aktiv. An die Tür der Mannschaftsbar hatte er „Türken raus“ gepinselt. Der Schriftzug wurde getilgt und der Vorfall wäre in Vergessenheit geraten, wenn mir nicht durch Zufall der später enttarnte Übeltäter in Genua auf der Gangway entgegengekommen wäre. Mir waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Gesichter der neuen Besatzung bekannt. So ordnete ich ihn fälschlicherweise in die Heerschar italienischer Hafenarbeiter ein und fragte ihn in englischer Sprache nach seinem Begehr. Woraufhin er mir empört klarmachte, dass er zur Besatzung gehöre. Woraufhin ich wegen dieser Verwechslung um Nachsehen bat. Vermutlich hat er diese Lektion verstanden und gelernt.

Ähnlich gelagerte bzw. sich ergänzende Interessen waren häufig Ausgangspunkt für langjährige Freundschaften. Ganz ohne Frage trifft diese Feststellung auf eine Hand voll ehemaliger Seeleute aus meinem Freundeskreis zu. Mit Peter Saß und Georg Inatowitz bin ich auf verschiedenen Schiffen gemeinsam an die Pazifik-Küste von USA/Kanada gefahren und im Indonesien- und Ostasiendienst tätig gewesen. Wobei berufliche und private Interessen sich dabei nie im Wege standen. Der Schiffszimmermann Schorsch war für mich immer ein Seemann, wie er im Buche steht, ein Raubein mit weichem Kern. Hinter seiner rauen Schale verbarg sich eine zuverlässige und empfindsame Seele. Neben dem von mir immer bewunderten handwerklichen Geschick – ich selber bin mit meinen zwei linken Händen von der Natur benachteiligt – hat er nach wie vor viel Sinn für alles Schöne. Mein alter Freund Peter, ein Hamburger mit Bremer Wurzeln, war die ideale Ergänzung in diesem Dreiergespann. Unsere berufliche Zusammenarbeit muss Eindruck hinterlassen haben. Zumindest wurde unserem Wunsch nach gemeinsamen Einsätzen auf Schiffen der Hapag-Lloyd AG immer wieder gern entsprochen. Erst ein Kapitän, der mit seinen im Büro übernommenen Intrigen unserer Freundschaft und unserer fruchtbare Zusammenarbeit nichts anhaben konnte, dividierte uns auseinander. Fortan durfte die „Ostfriesenmafia“ nicht mehr gemeinsam die Weltmeere unsicher machen. Unsere Freundschaft tat es dennoch keinen Abbruch. Gemeinsame Interessen waren ein zusätzlicher Klebstoff. Im Urlaub war es der Sport, die Windsurferclique und viele Abende in der Stammkneipe bei Hans in der Friesenschänke. Private Umstände brachten es mit sich, dass er Jahre später seine Zelte auf Norderney aufschlug und seine berufliche Karriere als Vormann des Rettungsbootes beendete. Vereint hat uns ohne Frage der Sinn für schöne Dinge. Die Suche nach „Ostasiaka“- handwerkliche Produkte aus den ostasiatischen Häfen – war eine Sucht, der wir gemeinsam frönten. Peters damalige Altbauwohnung wurde, mit meiner Assistenz, in eine Wohlfühloase umgewandelt. Meine Erinnerung spielt mir glaubhaft keinen Streich, wenn ich seine damaligen vier Wände in der Zeitschrift „Schöner Wohnen“ entdeckte. Unsere gemeinsamen Einkaufs- und Entdeckungsbummel durch asiatische Hafenstädte waren an Bord der Schiffe legendär. Wobei wir, sehr zum Ärger anderer Besatzungsmitglieder, nie die Quellen unserer Einkäufe preisgaben. Vielen hätte auch das Verständnis dafür gefehlt, dass wir zum Beispiel bei einem Altwarenhändler in Bangkok in einem Haufen Schrott fündig geworden waren. Wie hätten wir auch eine Wegbeschreibung geben sollen, wenn wir bei Stromereien abseits der Touristenströme winkelige Gassen und Gässchen heimsuchten. Beim Ausfindigmachen der Schätze waren wir wohl gleichermaßen talentiert. Peter rundete mit seinem geschichtlichen Hintergrundwissen die Sache ab. Durch ihn wurden wir dann aufmerksam auf kleinere und größere Elfenbeinschnitzereien. Neben den filigranen Netsukes-Kleinschnitzereien aus verschiedenen Materialien, dienten als Knopf zum Befestigen von Kleinstbehältern oder dem Tabakbeutel – hatte es uns ein chinesischer Dichter aus der Tang – Zeit angetan. Peter wußte natürlich sofort, dass es sich um Li-tai-poh bzw. Li-Bai handelte, der noch heute als Schutzheiliger der Weinhändler und Schankwirte fungiert. Auf Anordnung des chinesischen Kaisers durfte er aber nur in einer unehrenhaften Haltung, schlafend, dargestellt werden. Letzteres hatte er seiner kritischen Haltung und Äußerungen gegenüber dem Kaiserhaus zu verdanken. Betrachtet man das Gesicht des dargestellten Dichters genauer, meint man feststellen zu können, dass er sich trotz aller Verbote ein Blinzeln unter den geschlossenen Augenlidern gestattet. Diese wundervollen Schnitzarbeiten wird man heute schon wegen der berechtigten Einfuhrverbote von Elfenbein nicht mehr auf dem asiatischen Markt finden. Schon damals wurden in den üblichen Andenkenläden der Touristen plumpe, maschinell hergestellte Imitationen aus Knochen oder Kunststoff angeboten. Bei dem Kauf dieser außergewöhnlich schönen Figuren durfte ich mein Talent ausspielen. Mit Hingabe habe ich bei der einen oder anderen Tasse grünen Tees um den Preis gefeilscht. Meine Zähigkeit hat so manchen Händler zur Verzweiflung gebracht. Einen Gesichtsverlust, auf beiden Seiten, galt es bei diesem Preisgeplänkel zu vermeiden. Bei einem Verhandlungsmarathon in Penang/Malaysia machte mir ein einheimischer Händler einmal ein außergewöhnliches Kompliment. Er kommentierte meine Unnachgiebigkeit mit der Bemerkung: „Sie müssen in Ihrem Vorleben Chinese gewesen sein.“ Peter und Schorsch wussten von meinem chinesischen Vorleben und schickten mich bei Verkaufsverhandlungen immer in das Gefecht. Natürlich kam es auch vor, dass ich die Segel streichen musste. Vielleicht hatte ich in solchen Momenten nicht die Schmerzgrenze meines Verhandlungspartners erkannt und meine Preisvorstellung war einfach unrealistisch. So ist mir bei dem erhofften Kauf von zwei chinesischen Stempeln ergangen. Die beiden auf dem Stempelsockel hockenden Schildkröten hatten es mir angetan. Doch der Händler wollte von meiner Preisvorstellung absolut nichts wissen – und für das Pärchen fehlte mir das nötige Kleingeld. Den ehrenhaften Vorschlag, die Bezahlung auf die nächste Reise zu verschieben, lehnte ich ab. Wer hat schon gerne Schulden? Schorsch hatte mit seinem Teilungsvorschlag die zündende Idee. Fortan war eine Schildkröte in Hamburg und eine auf Norderney beheimatet. Mein Exemplar wurde ab und an zu einem kleinen Steuerbetrug benutzt. Die Rechnungen meiner an Bord gesäuberten Uniformen durch den chinesischen Wäscher habe ich stilrecht mit dem Stempel glaubhaft wirken lassen. Den Zwilling der Schildkröte habe ich bei unsern unregelmäßigen Besuchen Hamburgs in der Wohnung von Schorsch bewundern können. Nur ein einziges Mal habe ich versucht ihm das schöne Stück abzukaufen. Seine eindeutige Absage war unmissverständlich. Gleichzeitig machte er mir aber das Versprechen, dass unser Sohn Hauke den Stempel einmal von ihm erben würde.

Mittlerweile sind wir drei Freunde längst in den wohlverdienten Ruhestand getreten. Leider sehen wir uns viel zu selten. Dabei lebt bei diesen eher zufälligen Verabredungen die gemeinsame Zeit unserer Seereisen wieder auf. Die zugespielten Bälle unserer Erinnerungen faszinieren Außenstehende immer wieder. Dessen bewusst, genießen wir dessen Wirkung. Schon deshalb hatte ich mich ganz besonders gefreut, dass Peter und Schorsch meiner Einladung zum 65. Geburtstag im Central Cafe gefolgt waren. Die Hamburger wohnten mit anderen Gästen in unserem Haus in der Georgstraße. Der Abmarsch in das nahegelegene Cafe sollte gemeinsam über die Bühne gehen. Beim Verlassen der Wohnung blieb mein Blick zufällig auf einem Regal der Bücherwand im Arbeitszimmer hängen.

Unser Sohn Hauke muss sich mit dem Antritt seines Hamburger Erbes noch ein wenig gedulden. Vorerst bleiben die beiden Schildkröten im Bücherbord gegenüber meines Schreibtisches stehen und sind greifbare Zeugen einer ganz dicken Freundschaft aus vergangenen Seefahrerzeiten.