Unterwegs mit nicht alltäglicher Besatzung
Schon die Anmusterung auf dem MS „Riederstein“ war außergewöhnlich. Im Herbst 1971 klingelte mich im wohlverdienten Norderney – Urlaub der„Heuerstall“ aus Bremen an. Ein Anruf von Herrn Pütz – natürlich wurde der Leiter des Halo – Heuerbüros bei den Seeleuten in direkter Übersetzung seines Namens nur Herr „Eimer“ betitelt – im Freitörn verhieß meistens nichts Gutes. Doch vorgeschobene Krankheiten, Todesfälle oder auch Familienfeiern brachten den guten Mann so leicht nicht aus der Fassung, wenn es darum ging eines der Hapag-Lloyd Schiffe auf dem schnellsten Weg zu bemannen. Fast immer zog man bei den fadenscheinigen Ausreden den Kürzeren. Ein oder zwei Tage später flatterte dann per Post der Heuerschein mit einem entsprechenden Marschbefehl auf den heimischen Tisch, wobei die Anreise per Bahn fast immer in Bremen, Hamburg oder Bremerhaven endete. Bei einer Reederei in der Linienfahrt eine übliche Praxis. In Ausnahmefällen ging es auch manchmal in einen der Häfen von Holland, Frankreich oder Großbritannien, um auf einem Schiff der Reederei den Dienst anzutreten. Doch diesmal sollte ich einen Kollegen in Long Beach ablösen. Doch die Gewerkschaft der amerikanischen Hafenarbeiter machte ihm mit einem unbefristeten Streik einen Strich durch die Rechnung. In Hamburg bestieg ich mit leichtem Gepäck ; der Einsatz auf der „Riederstein“ sollte maximal vier Wochen dauern – und einem Visum in der Tasche den Flieger in Richtung Los Angeles. Nach 16 Stunden wurde ich von Kapitän Stehnkenund einigen netten Kollegen am Airport von L.A. aufgegabelt. Wobei die erfolgreiche Fahndung nach mir mit Pappschild und Ruferei über die Bühne ging. An der lautstarken Suche beteiligten sich dann auch noch unbeteiligte Amerikaner, die auf Angehörige bzw. Freunde warteten.Mit einem Auto der Reederei – Agentur wurde ich dann nach Long Beach verfrachtet. Auf der Reede des Hafens lag ein Meer von vor Anker liegender Schiffe, die ein Ende des Streiks herbeisehnten. Mein neuer Arbeitsplatz war leicht auszumachen, weil das Schiff ein außergewöhnliches Stück Ladung an Deck stehen hatte. Die historische hölzerne Dampfjacht „Medea“ war für Long Beach bestimmt und bei guter Sicht ein guter Ansteuerungspunkt für unsere Bootsbesatzung , die einen Fährdienst zwischen Schiff und Pieranlagen aufgenommen hatte. Die wunderschöne Jacht war während der Reise von Europa zum Zielhafen von zwei englischen Zimmerleuten restauriert worden. Der ehemalige Besitz des indischen Vizekönigs liegt heute im Marinemuseum von San Diego in Kalifornien.
Der angesprochene Fährdienst mit einem der Rettungsboote wurde, auf Veranlassung unseres Kapitäns, noch auf andere Ankerlieger ausgedehnt. Die Leidtragenden seiner spontanen Ideen waren auch in diesem Fall Besatzungsmitglieder, die diesen Job dann auszuführen hatten. Trotz Kompass bescherte uns Dunkelheit oder auch der häufige Smog in L.A. so manche Irrfahrt zwischen all den vor Anker liegenden Schiffen.Wobei sich die Crew für diesen ungeliebten Job auf ganz besondere Art bedankte. Die tägliche Fahrt des Kapitäns per Arbeitsboot von unserm auf Reede liegenden Schiff zu Agentur im Hafen von Long Beach muss auf der Rückreise einen ungewollten Verlauf genommen haben. Zumindest meldeten die britischen Zimmerleute ganz aufgeregt: „There is a little white man in a little white boat rowing towards us.“ Die Überraschung hielt sich anscheinend in Grenzen. Zumindest war das Deck augenblicklich menschenleer. Neidlos wurde anerkannt, dass er in seiner blütenweisen Uniform eine ausgesprochen gute Figur bei der anstrengenden Ruderei machte. Erst Jahre später offenbarte mir Michael Sch., dass er auf Geheiß des Bootsmanns den Tank des Außenborders mit Benzin aufgefüllt hatte. Wobei er noch verwundert feststellte, dass der Kraftstoff viel Ähnlichkeit mit Wasser hatte. Doch Befehl ist nun einmal Befehl. Später gab ihm die Aufschrift des Kanisters recht. Er hatte Arbeitsboot und Kapitän mit Waschbenzin versorgt.
Außergewöhnlich auf diesem Schiff war auch die Zusammensetzung der Besatzung. Neben der Schiffsleitung kamen auch unser Bootsmann Dänekamp ( „de brush and de broom“), der Kabelgattede Arthur und der Matrose Jochen Schepper von der Weser oder Elbe. Außer dem chinesischen Wäscher stammten die restlichen Crew Mitglieder aus der Südsee, Insulaner von den Gilbert & Ellis Islands. Aus diesen zur englischen Krone gehörenden Inselchen bildeten sich nur einige Jahre später Tuvalu und die Republik Kiribati. Unsere englischsprechenden Gilbertesen (Kiribatis) waren eigentlich Opfer eines UNESCO Hilfsprogramms geworden. So erzählte man, dass durch die gute ärztliche Versorgung der Inselgruppen eine Übervölkerung und somit die Selbstversorgung gefährdet gewesen sei. Mit Hilfe einiger deutscher Reeder (Hamburg-Süd, Hapag-Lloyd , Fisser & v. Dornum) wurde das Hilfsprogramm in die Tat umgesetzt und auf Tarawa eine Ausbildungsstätte für Seeleute ins Leben gerufen. Nach der Ausbildung wurden die Insulaner mit langjährigen Arbeitsverträgen auf den Schiffen der beteiligten Reeder eingesetzt und somit der Heimat ferngehalten. Über ihre Naivität und Weltfremdheit haben wir damals viel gelacht. So ist die erste Generation dieser Seeleute im tiefsten Winter nach Hamburg eingeflogen worden. Diese Jahreszeit konnten sie ja nur aus Erzählungen kennen. Kaum verwunderlich, dass sie den Flieger ohne Schuhwerk verlassen haben. Wärmende Kleidung war ebenfalls Fehlanzeige. Ein Skandal war ohne Frage der Hungerlohn, mit dem sie anfangs abgespeist wurden. Die Arbeitsverträge wären sicher ein gefundenes Fressen für den „Spiegel“ bzw. den“ Stern“ gewesen. Die Jungen auf unserm Schiff waren eine sympathische und kameradschaftliche Truppe. Mit ihrer Hilfsbereitschaft, ihrer stets guten Laune und Fröhlichkeit haben sie uns Langnasen oft an unserer eigenen Lebensauffassung zweifeln lassen. Unser Kapitän Stehnken ( Spitzname: „King of Tarawa“) kannte diese Naturburschen da schon ein wenig besser. Hatte er doch selbst an der Errichtung der Ausbildungsstätte auf Tarawa mitgewirkt. So hatte er gleich zu Anfang der Reise diesen ausgesprochen musikalischen Talenten einige Gitarren geschenkt. Auf Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten wurden wir dann mit mehrstimmigen Liedern aus der Südsee verwöhnt. Doch so ganz genau musste er dieses Völkchen nun doch noch nicht studiert haben. Zumindest erinnere ich mich sehr gut daran, dass er einen dieser A.B.S. ( able-bodied-seaman ) in seinen Salon zitierte und mit einer großen Dose Kekse als Geburtstagsgeschenk überraschte. Diese gut gemeinte Gabe hatte zur Folge, dass schon nach kürzester Zeit die gesamte braunhäutige Besatzung auf dem Kapitänsdeck vor seiner Tür versammelt war und ebenfalls beschenkt werden wollte. Unsere Gilbertesen kannten weder Tag, Monat noch Jahr ihrer Geburt. Die Daten in ihren Pässen und somit auch in den Schiffspapieren waren offensichtlich fiktive Zahlen. Der Alte hat sich aber nicht lumpen lassen – und so hielt sich ihre Enttäuschung in Grenzen. Im Nachhinein ist uns dann auch aufgefallen, dass einige der Stewards, statt der verlangten 18, höchstens 14, 15 oder 16 Jahre alt sein konnten.
Bei den Arbeiten an Deck waren unsere Südseeinsulaner immer für eine Überraschung gut. So hatten sie wenig Verständnis dafür, dass der Bootsmann und seine deutschen Assistenten bei der Sicherung der Container und anderer Decksladung eine Leiter und einen Sicherheitsgurt benötigten. Bei vier Lagen Container schon eine stattliche Höhe von acht Metern. So hielt der gute Mann dann auch verblüfft den Atem an, wenn ihn oder seinen Assis ein braunes Gesicht aus luftiger Höhe anstrahlte. Ohne Leiter ging es eben entschieden schneller. Angstgefühle waren ihnen in jeder Hinsicht fremd. Oft haben wir auf der Brücke unsern Augen nicht getraut, wenn sie mit Farbeimern, Roststeckern oder anderem Werkzeug barfuss über den Schandeckel der Reling nach vorn oder achtern liefen. Der Weg zwischen den an Deck stehenden Containern mit ihren Spannschrauben und Drähten war ihnen zu umständlich. Die Unfallverhütungsvorschriften konnten wir ihnen nie näher bringen.
Während des andauernden Streiks der Hafenarbeiter brachte die Besatzung der Riederstein das Schiff auf Hochglanz. Man hatte ja Zeit für ausgefallene Ideen. So wurde auf der Steuerbord – und Backbordseite unterhalb der Nocken ein großer Seehund gemalt. Wenn ich mich recht erinnere, balancierte das Tier auf seiner Nase einen Ball oder eine Weltkugel.Ich kann mich nicht so recht erinnern, weil in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der balancierte Gegenstand von unserm 2. Ingenieur in einen Hapag-Lloyd-Container umgewandelt wurde. In Hamburg hatte man wenig Verständnis für so viel Kunst am Schiff und mit einem Pott Weißlack wurde das Ganze überrollt und somit gelöscht. Profitiert von dem langen Streik und der damit verbundenen Beschäftigungsproblematik hat der Seemannspastor in Long Beach . Nach Wochen emsiger Arbeit erglänzte sein Seemannsheim in Hapag-Lloyd Farben.
Pastor Th. Norquist hat es uns mit tollen Ausflügen in den Grand Canyon und Disney Land gedankt. Seine Arbeit hat uns Respekt und Bewunderung abgefordert, lebte und wirkte er doch nur von den Zuwendungen seiner kleinen Gemeinde. Natürlich nahm er auch unsere Gilbertesen unter seine Fittiche. Mit ihrem kleinen Taschengeld – die geringe Heuer wurde fast komplett an die Familien auf den Gilbert & Ellis Islands geschickt – und der Kleidersammlung von Pastor Norquist wurden sie für die kommende kalte Jahreszeit komplett eingekleidet und sie die gekauften und geschenkten Textilien voller Stolz nicht wieder ablegten. Bei dem sehr warmen Spätsommer in Kalifornien ein abenteuerlicher Aufzug. Die heimkehrende Truppe erinnerte dann doch sehr an einen farbenfrohen Karnevalszug . Schadenfreude und Aberglaube schien bei ihnen gleichermaßen tief verwurzelt zu sein. So betraten sie während der Heimreise nach Sonnenuntergang das Vorschiff nicht mehr, weil ihnen das Gerücht zu Ohren gekommen war, dass in einem Kühlcontainer eine schaurige Fracht ruhen würde. Angeblich hatten wir die sterblichen Überreste von Opfern eines Schiffbrandes vor Vancouver an Bord. Aus dem gleichen Grund verzog sich mein Ausguck in der Nock immer auf die Sonnensegellatten und harrte bis Mitternacht vier Stunden in luftiger Höhe aus.
Missgeschicke der eigenen Kollegen und von anderen Leuten fanden unsere Gilbertesen umwerfend komisch. Selbst simple Stolperer waren Auslöser hämischen Gelächters.
Bei einem Anlegemanöver in Antwerpen brachte einer der Matrosen es fertig, mit einem gezielten Schmeißleinenwurf den Hafenmeister am Kopf zu treffen. Mich wundert es noch heute, dass der gute Mann bei diesem Volltreffer nicht zu Boden gegangen ist. Zumal in dem Wurfleinenknoten zur Verbesserung der Flugeigenschaften häufig ein schweres Metallteil eingearbeitet war. Auf der Back freute sich meine Crew lauthals über diesen meisterhaften Wurf. Von der Pier kam nach einigen Schrecksekunden eine Kanonade von wüsten Flüchen und Beschimpfungen in Richtung Schiff. Letztere trug nur noch zur allgemeinen Erheiterung bei, weil man die in deutscher Sprache mit belgischem Akzent vorgetragene Beschwerde einfach nicht verstand. Erst als die Flüche des Hafenmeisters in englischer Sprache wiederholt wurden, bereitete dies der Heiterkeit ein jähes Ende.
Am ersten Weihnachtsfeiertag ging diese wunderschöne und nun doch sehr lange Reise in Hamburg zu Ende. Ein trauriges Fest für unsere Besatzung. Unter dem Gabentisch lagen die Kündigungen durch die Reederei. Hungerlöhne und deutsche Flagge konnte man wohl nicht miteinander vereinbaren. Man ließ diese Naturkinder im Regen stehen. Kein Offizieller kam an Bord unseres Schiffes. Der Ablöse-Kapitän war der Situation nicht gewachsen und versteckte sich hinter der verschlossenen Tür seines Salons.
Dem Vernehmen nach bekamen sie Verträge bei den deutschen Reedern unter ausländischer Flagge. Später wurden auf internationaler Ebene auch angebrachte Tarifverträge durchgesetzt.
Für die damalige Zeit war die Beladung der Riederstein auf der Reise nach Europa außergewöhnlich. Vier Lagen Container an Deck erregte nicht nur im Panama-Kanal für Aufsehen. Unsere „Türme“ wurden auch im Englischen-Kanal auf Feuerschiffen und Lotsenfahrzeugen mit offenen Mündern bestaunt. Selbst mit Ferngläsern bewaffnete Leuchtturmwärter wurden ausgemacht. ( Siehe Fotos in der Rubrik „Seefahrt & mein Leben“ )
Belastung bei Ankunft Le Havre
Frischwasser 120 to
Ballastwasser 0 to
Dieselöl 30 to
Schweröl 296 to ( Tagesverbrauch 31to)
Ausrüstung 400 to
Ladung 10995 to ( davon 2000to an Deck in 256 Containern )
Total 11843 to
Tiefgang bei Ankunft
Vorne:30` 00„ Hinten:28` 11„