Bordverpflegung

Die Erinnerungen an diese Begebenheiten führt zurück in die Jahre meiner Ausbildung zum Matrosen an Bord der geliebten Kombischiffe in der Ostasienfahrt.
Hinter mir lagen gerade drei Monate auf der „Mosesfabrik“ ( Schiffsjungenschule ) in Elsfleth und fünf Reisen Nordatlantik mit meinem ersten Schiff der „Breitenstein“. Trotz  der häufigen Tiefdruckgebiete und dem damit verbundenen schlechten Wetters waren mir nicht die viel besungenen Seemannsbeine gewachsen. Im anschließenden Heimaturlaub habe ich mit Sicherheit nicht über die immer wiederkehrende Seekrankheit und den sadistischen  Bootsmann erzählt. Letzterer ließ uns Junggrade bei schlechtesten Wetter unter der Back ( laut Lexikon der Seefahrt ist die Back der vorderste Aufbau des Schiffes, insbesondere die Räume unter diesem Aufbau )  im Kabelgatt Spannschrauben  fetten. Das stampfende Schiff – man fühlte sich wie in einem außer Kontrolle geratenen  Fahrstuhl – und der Geruch von Farbe und Fett waren schlechthin der Appetithemmer par excellence. Erzählt habe ich auch sicher nicht  von den Stunden bei widrigen Wetterverhältnissen als Ausguck auf der Back  oder in der Nock. Vielleicht aber doch. Zumal das Frieren  bei Nässe und Kälte Anlass für erste Landgänge in New York waren. Bei  Friedmanns in Brooklyn wurde die sauer verdiente Heuer ( 60 DM plus Geld für geleistete Überstunden im Monat )  in Fellmützen , Jeans und Ölzeug umgelegt. Bei Einkäufen von mehr als 20 Dollar gab es als  Bonus im Tausch für einen Dollarschein  einen Silberdollar. Doch ich schweife ab.

Von dem ersten Jahr als Decksjunge  werde ich zu einem anderen Zeitpunkt berichten. Nach diesem ersten Lehrjahr wurde ich umgemustert  zum Jungmann und meine Heuer wurde auf 90 DM pro Monat aufgestockt. Mein zweiter Einsatz verschlug mich in den Ostasiendienst. Jungmann Pahl stand fast ganz unten in den Gehaltslisten einer 86 – köpfigen  Besatzung. Wohlgemerkt nicht ganz unten. Konnte ich doch mit meiner „ großen  Erfahrung“ schon mit einiger Verachtung  auf drei Mosese herabblicken. Der Kammerdienst ( Säuberung der Kammern von Bootsmann, Zimmermann und Matrosen ) und die Säuberung der Toiletten und des Waschraums blieb mir trotzdem nicht erspart. Mein neuer schwimmender Arbeitsplatz gehörte zu einer Flotte von sechs Schiffen, die einen kombinierten Ostasiendienst versahen. Neben Fracht wurden Fahrgäste , meist steinalte Amerikaner, Engländer und deutscher Hoch – und Geldadel durch Asiens Häfen geschleust. Es war wohl mehr Tradition denn lohnendes Geschäft. Rund hundert Passagieren stand eine stattliche Zahl von  dienstbaren Geistern zur Verfügung. Stewards und Kombüsenpersonal machten immerhin den Löwenanteil der Besatzung aus. Sollte man dem Reden des   “Feudelgeschwaders“, wie wir die blütenweiße Kellnerschar verächtlich nannten, Glauben schenken, so fuhren die “ Polleraffen“ wie sie wiederum uns, die ewig schmuddelige Decksmannschaft, herablassend nannten, ohnehin nur als geduldetes Übel mit. Die Kombüsenbesatzung ( “ Kolonne Freß “ ) vertrat da eine ähnliche Auffassung. Die gegenseitige Verachtung, die auf eine lange Tradition zurückblickt, trieb seltsame Blüten. So war es ein ungeschriebenes Gesetz  für die Abteilung Bedienung , dass sie das Achterschiff , Wohnbereich der Decksmannschaft , nur mit Aussicht auf fürchterliche Strafen betreten durften. Unser Territorium, das Hotel zur Schraube , wurde eifersüchtig gehütet. Umgekehrt war es natürlich ähnlich. Nur konnten sich im Mittschiffsbereich die vielen Interessengruppen schlecht völlig voneinander abkapseln. Doch schon damals gab es Situationen für Wegbereiter eines künftig besseren Zusammenlebens an Bord , die den gehegten und gepflegten Vorurteilen zu Leibe rückten. Die letztlich in der Flotte allgemein bekannte Tatsache der miserablen Verpflegung war Grundursache für seltsam anmutende Verbrüderungen und Bündnisse. Mit meinen Erinnerungen will und kann ich nicht die Ursache dieses Übels aufdecken. Gemeint ist natürlich das leibliche Wohl der Besatzung. Den Fahrgästen ,unsern ersten Herren, zu denen  Kapitän, 1.Offizier, Chief – Ingenieur, Schiffsarzt , Zahlmeister , Obersteward und Oberkoch zählten – und einigen Parasiten in der Kombüse selbst – , stand ein wahres Schlaraffenland zu Verfügung. Mit Sicherheit lag es nicht an den Qualitäten des jeweiligen Mannschaftskochs, der immer wieder Ziel  boshafter Beschimpfungen wurde. Wobei ihre Kochkünste häufig nur auf die jahrelanger  Erfahrung basierten, die sie sich als Bäcker –oder Schlachterkochsmaat  angeeignet  hatten. Die Beförderung zum Koch nach langer Kochsmaatenzeit  schien uns die Bestätigung dafür, dass er sich durch über die Schulter gucken  die üblichen Standardgerichte angeeignet  hatte. Im Laufe meiner Fahrzeit erlebte ich diverse “ Frikadellenschmiede “, wie sie liebevoll betitelt wurden, die entweder an der Eintönigkeit des Speisezettels oder an  der Unergiebigkeit der Provianträume gescheitert waren.  In späteren Jahren habe ich auch exzellente Köche in der Kombüse wirken sehen, die jedem Fünf – Sterne – Hotel zur Ehre gereicht hätten. Es war und ist wohl auch noch heute der undankbarste Job an Bord eines Schiffes. Mag sein, dass auch die triste Umgebung uns allen noch zusätzlich auf den Magen schlug. Die Mannschaftsmesse hatte trotz Klimaanlage – eine unerhörte Neuerung für damaligen Einrichtungsstandard – nicht übersehbare Ähnlichkeit mit der grauen Trostlosigkeit eines Wartesaals dritter oder vierter Klasse eines Bahnhofs um die Jahrhundertwende. An mit acht Stühlen bestückten Tischen saßen da aufgereiht , gemäß den strengen Regeln der nie verordneten Bordhierarchie, Unteroffiziere, Matrosen, Junggrade, Schmierer und Reiniger, Küchenpersonal und last not least  die Stewards. Häufig gingen die Feindseligkeiten und die damit verbundenen Lästereien und Stänkereien so weit, dass man gewillt war einen Vorhang aus Rabbeltuch ( Sackleinen ) unter die Decke  zwischen die streitenden Fraktionen zu nageln. Gescheitert sind diese oft in Erwägung gezogenen Demarkationslinien an dem verzwickten Bedienungsproblem. Zudem hatte die Messe trotz der enormen Länge nicht genügend  Ein –und Ausgänge bei den vielen Interessengemeinschaften. Gegen die These der tristen Umgebung spricht nur, dass in der kleineren  und gepflegten Messe der Offiziere die Stimmung wegen der Eintönigkeit und des sich ständig wiederholenden Speiseplans auch mehr als gereizt war. Nicht gerade für die Qualität der angebotenen  Speisen und Aufschnittplatten sprach, dass die Matrosen und Junggrade der jeweiligen Wache von ihren Wachoffizieren direkt oder durch die Blume aufgefordert wurden  auf Organisationstouren –sprich Diebes – und Beutezüge zu gehen. Natürlich fanden diese Beschaffungsmaßnahmen im Schutze der Nacht statt – und Not bzw. Hunger auf Abwechslung macht bekanntlich erfinderisch. Die ganz großen Talente unter den Organisatoren – sie hatten schon einige Reisen Erfahrungen sammeln können – hatten für sämtliche wichtigen Räume , wie Kombüse, Kaltküche , Proviant –und Kühlräume in der Maschine Nachschlüssel anfertigen lassen. Letzteres führte natürlich zur Aufteilung von dem jeweiligen Mundraub. Die ganz Unverfrorenen erbeuteten nicht nur die zum Abtauen in der Kombüse aufgehängten Koteletts, nein sie hauten sie auch noch vor Ort  in die Pfanne.

Sicherheits –und Steckschlösser  setzten diesem unerhörten Treiben ein jähes Ende. Ein Ende der Diebereien brachte es nicht. Die Methoden verfeinerten sich nur. Für eine ganze Weile wurde ein im Grunde sehr simpler Weg zu den begehrten Gaumenfreuden ausgetüftelt und fleißig benutzt. Lediglich zwei Schwierigkeiten mussten bei diesen nächtlichen Aktionen überwunden werden. Der Weg führte durch die prächtige Eingangshalle quer durch den Speisesaal der Fahrgäste zur Kaltküche und deren Geschirrdurchreiche. Das erste Hindernis auf diesem Weg war der Nachtsteward in der Portiersloge  in der Eingangshalle. Ihn abzulenken bzw. von seinem Posten wegzulocken  war nicht sehr einfach. Uns kam zugute, dass der einsame alte Mann für jede Konversation dankbar war. So bemerkte er dann auch nicht, wenn dunkle Gestalten hinter seinem Rücken die Halle durchquerten und in Richtung Speisesaal und Kaltküche verschwanden. Das zweite Hindernis war entschieden einfacher zu bewältigen. Das Geschirr für rund hundert Fahrgäste musste nahezu geräuschlos aus der Durchreiche entfernt werden. Zumindest so viel Geschirr, dass ein schlanker Räuber  auf diesem Wege in das Schlaraffenland gelangen konnte.Dieser Zugang bereitete den Kombüsenoberen einiges Kopfzerbrechen.Ohne die geringsten Einbruchspuren wurden die Kühlschränke und die Kaltküche regelmäßig geplündert. Selbst die Kriegslist, die Fußböden vor Türen und Fenstern bei Feierabend mit einer feinen Mehlschicht zu bestäuben, wurde sofort durchschaut. Die Eindringlinge ihrerseits überpuderten nach getanem Raub die verräterischen Fußspuren. Wie lang dieses Spiel gut ging? Ich kann es nicht sagen. Eines Tages war auch dieser Weg mit einem dicken Vorhängeschloss versperrt. Aufgegeben wurde, schon um den Magen zu beschwichtigen, nicht. Zäh  und verbissen wurde um Abwechslung in der Verpflegung gepokert. Für den Oberkoch und den Zahlmeister – in unsern Augen die verantwortlichen Sündenböcke der gertenschlanken Besatzung – wird es wohl immer ein Rätsel  geblieben sein wie der gesamte Käseeckenvorrat für eine fünfmonatige Ostasienreise aus dem doppelt gesicherten Trockenproviantraum verschwinden konnte. Zu der Lösung dieses Rätsels kann ich nur Vermutungen anstellen. Tatsache ist nur, dass seit dieser besagten Reise einige Besatzungsmitglieder eine heftige Abneigung gegen jegliche Art von Käseecken entwickelten. Egal nun ob mit Kräutern, Paprika, Pilzen oder anderen Feinheiten. Mit der Zeit wurde die heimliche Partisanentätigkeit zum offenen Krieg. Jede Gelegenheit wurde schamlos ausgenutzt. Kuchenplatten im Essensaufzug wurden auf dem Weg von der Bäckerei zum Kinderdeck geplündert. Die gutmütige Stewardess (“Whisky – Else“) hat oft genug die eine oder andere Portion Kinderleckereien für uns abgezweigt. Bei der Vorbereitung eines von den Fahrgästen so geschätzten  kalten Büfetts wurden  einem  mit Silberfolie appetitlich garnierten Puter in einem unbewachten Moment beide Keulen ausgerissen. Die Täter konnten unerkannt und kauend entkommen. Von der Empörung über den geschändeten Braten – ein ziemlich trostloser Anblick trotz knusprigen Brauns und schimmernder Silberfolie – erfuhr man später in der Messe.

Wie immer verliefen die Nachforschungen und Untersuchungen im Sande. Vielleicht waren es auch nur Scheingefechte. Eine plötzlich in das Rampenlicht gezerrte schändliche Verpflegung  wäre um vieles peinlicher gewesen. So ist es auch zu verstehen, dass das Verschwinden von  ganzen Bergen Äpfeln, Apfelsinen, Bananen und Birnen nicht an die große Glocke gehängt wurde. Da die Kombüse und die Kaltküche zu damaliger Zeit noch keine Klimaanlage hatten, wurden die vergitterten Fenster zu jeder Tages –und Nachtzeit zur besseren Belüftung offen gelassen. Besenstiele und Bambusstäbe mit aufgepflanzten Zimmermannsnagel  oder  gerade gebogene Farbrollenstiele mit angeschliffenen Enden waren das Werkzeug für leckere Obstspieße. Doch die Zeit arbeitete  für unsere Gegner. Das Schutz – und Abwehrsystem wurde verfeinert und immer engmaschiger. So kleine Gelegenheiten wie die Bestechung eines Stewards  -er rannte bei der Essensausgabe statt in den  Speisesaal nach rechts durch die Tür in die Arme eines wartenden  Komplizen – zählen da nicht mehr. Direkte Handgreiflichkeiten kamen nie vor. Die verantwortlichen  Herren gingen ohnehin nur in kleinen Gruppen an Land. Möglichst auch nur zur Tageszeit – der Arbeitszeit der übrigen Besatzung. Zu grell werden ihnen auch die fürchterlichen Drohungen , die die Matrosen beim Farbewaschen aus schwindelnder Höhe von sich gaben, in den Ohren geklungen haben. Zählen kann man auch nicht die aus Rachemotive ausgeführten  Streiche. Beim morgendlichen Deckwaschen war das offen gelassene Bulleye  beim Oberkoch Anlaß für bitterböse Beschwerden. Ein andermal ereilte ihn zu nächtlicher Stunde beinahe der Schlagfuß als in seiner Kammer nationalchinesisches Feuerwerk Blitz, Donner, Qualm und Schrecken verbreitete. All diese Dinge konnten die Tatsache nicht verschleiern, dass wir auf dem Wege waren die Partie zu verlieren .Mit ziemlich trüber Miene wurde die Eintönigkeit des Speisezettels registriert. Die ständigen Wiederholungen zwangen selbst Leute die mehr auf die Quantität denn auf die Qualität achteten auf die Barrikaden. Selbst bei bescheidensten Ansprüchen  fand man sich im Lager der Opposition wieder. Doch selbst listigste Ideen zur Speisezettelaufbesserung zogen nicht mehr.Es brachte auch nichts, dass den Eintönigkeiten der Aufschnittplatte gehässige Namen  zugeordnet wurden. Auch als Wadenwickel, schlimme Augenwurst, Omas offene Beine oder Nasskalte , um nur einige der harmlosesten Bezeichnungen wiederzugeben , änderte sich die angebotenen Wurst weder in Farbe noch Geschmack. Als Eingaben und Beschwerden auch nichts mehr fruchteten , beschloss man das Übel an der Wurzel zu fassen  und auf der Heimreise Gefräßigkeit zu demonstrieren und vorzutäuschen. Hoffte man doch auf diese Weise die Vorräte der Kühlräume zu erschöpfen und einen Frischeinkauf im Ausland zu erzwingen. Die Aufschnittplatten waren von Stund an ständig leergefegt und der Messejunge sah sich genötigt, die einzige Sorte die es nachgab ein -, zwei- oder oft sogar dreimal in der Kombüse nachzufassen. Bei einer Belegschaft von rund sechzig bis siebzig Leuten in der Mannschaftsmesse eine beachtliche Menge ,die jeden Abend von den Platten gelesen fein säuberlich aufgeschichtet in unserm riesigen ,sonst zumeist  nur von  frierenden Kakerlaken besuchten, Eisschrank  verschwand. Wurstscheiben drängten und türmten sich mit den ins Land gehenden Tagen – und damals dauerte eine Heimreise in der Ostasienfahrt immerhin noch gut zwei Monate.

Nach dem Verlassen des Suez-Kanals gaben wir uns geschlagen. Die Wursttürme hatten immerhin schon die zweite Etage des Kühlschranks erobert. Europa war in erreichbare Nähe gerückt – und in gut zwei Wochen würden ohnehin die heimischen Fleischtöpfe den protestierenden Magen beschwichtigt haben. Doch bei all dem einenden Sammeleifer der letzten Wochen , wir hatten uns wohl gründlich in der Ergiebigkeit der Kühlräume verschätzt, fühlte sich wohl keiner so richtig verantwortlich für die angesammelten Beweise eintöniger Verpflegung. Mit Schrecken wurde nach dem Einlaufen  des Schiffes in Genua das immer noch vorhandene Wurstmanhatten im Eisschrank registriert Um der  schon anreisenden Ablösung nicht gleich mit der Maßen schwerwiegenden Problemen zur Last zu fallen beschloss man in einer Nacht – und Nebelaktion die Vernichtung unserer Niederlage zu bewerkstelligen .Es kam den emsigen Nachtarbeitern zu Gute, dass die Pantry mit besagtem Kühlschrank der offenen Wasserseite zugewandt war. So reicht eine fliegende Kette von Händen um Wurstberg um Wurstberg abzutragen und durch das geöffnete Bulleye mit einem dezenten Plumps in der Dunkelheit verschwinden zu lassen. Mit jedem Plumpser  wurde unser Herz und Gewissen leichter. Zum Schluss waren wir schon halb davon überzeugt ,dass unsere Niederlage eigentlich doch ein Sieg war. Nach dem Verschwinden des letzten Wurstberges begaben wir uns innerlich befreit zur wohlverdienten Nachtruhe.
Auch wenn uns allen die italienische  Sprache nicht geläufig war, so deuteten die Gesten und das Palaver der am nächsten Morgen erschienenen Arbeiter und Hafenbehörden auf ein unerhörtes Geschehen hin .Ein flüchtiger Blick auf das Hafenbecken bestätigte aufkeimende Befürchtungen. So weit das Auge reichte war die Wasseroberfläche zu einem wogenden Teppich mit recht gleichförmigem Muster geworden.
Zu  bemerken ist noch, dass selbst die sonst so wenig wählerischen Möwen diese Delikatesse verschmähten.

Als Anhang die noch immer gültige Speiserolle: HIER KLICKEN!