Steckenpferd-Reiter

Quer durch die Besatzung nahmen Hobbys einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert ein. Diese gehegten und gepflegten Freizeitbeschäftigungen ließen bei den Steckenpferd – Reitern auch auf langen Seetörns nie Langeweile aufkommen. Alkoholprobleme und die daraus resultierenden Folgen waren demzufolge auch kein Thema. Während meiner vielen Reisen waren Bücher meine ständigen Begleiter, wobei ich mir durch Kurzgeschichten verschiedener Autoren meine Lieblingsschriftsteller und Schriftstellerinnen erlesen habe. Auf zwei Containerschiffen der Hapag-Lloyd –Flotte habe ich mit finanzieller Hilfe der Reederei kleine Leihbüchereien eingerichtet, leider nur mit mäßigen Erfolg, weil ich wohl zu sehr meinen eigenen Geschmack im Hinterkopf hatte. Außerdem habe ich mich mit Vergnügen meiner Korrespondenz gewidmet, neben Reiseschilderungen und ganz privaten Dingen wurden so auch die ersten Storys zu Papier gebracht.
Mein Interesse für die Philatelie hat unter meinem Beruf eigentlich nie  gelitten, für Schiffspost – und Retourpostsammler habe ich während der Reisen unzählige Briefe auf den Weg gebracht, was ein probates Mittel darstellte um auf dem Tauschsektor aktiv zu bleiben. In den Häfen habe ich neben der schon geschilderten Jagd nach Mitbringsel jeglicher Art auch meine Leidenschaft für die Philatelie ausgelebt. Tipps unserer Reederei – Agenten und die örtlichen Telefonbücher brachten mich dann auf die Fährte von Briefmarkenhändlern, wobei ich mein über Jahre hinweg angeeignetes Spezialwissen der deutschen Sammelgebiete schamlos ausgenutzt habe. Mit ausgesprochenem Vergnügen denke ich noch heute an einen Händler in Melbourne zurück. Meine Besuche setzten den sympathischen polnischen Juden immer in helle Aufregung, weil ich seinen gesamten Bestand deutscher Markenausgaben systematisch nach Besonderheiten durchforstete, die ihm anscheinend entgangen waren. Manch Schnäppchen fand so in sein Ursprungsland zurück. Natürlich hat man mich bei meinen Ausflügen in die Philatelie auch aufs Kreuz gelegt,  in einem kleinen Laden in Genua hat mir ein Händler gekonnt einen gefälschten Briefmarkensatz des 3. Reiches angedreht. Meine Niederlage versuchte ich später vor mir selbst mit dem schummrigen Licht in dieser Gasse zu entschuldigen. Ähnlich kostspielige Erfahrungen habe ich auch in Honkong gemacht. Außergewöhnlich waren meine Freizeitgestaltungen eigentlich nicht, mit ein wenig Neid habe ich immer auf die handwerklich begabten Besatzungsmitglieder und deren Hobbys geschaut. Mit meinen zwei linken Händen war es mir nicht gegeben Buddelschiffe oder andere Kunstwerke erstehen zu lassen. Auf einer Reise in die indonesische Inselwelt bin ich einem Matrosen begegnet, der einem nicht alltäglichen Hobby frönte, er war leidenschaftlicher Lepidopterologe oder auch Entomologe. Mit diesen lateinischen Fachausdrücken konnte ich erst einmal rein gar nichts anfangen. Erst die unmittelbaren Folgen einer Schlechtwetterperiode brachte mir seine Sammelleidenschaft näher. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit der Schmetterlings- bzw. Insektenkunde. Er war auf diesem Gebiet ein über die Landesgrenzen hinaus bekannter Experte. An Bord wurde erzählt, dass er angeblich schon einmal an einer Expedition unter russischer Leitung teilgenommen haben soll. Die Geschichten mussten schon einen gewissen Wahrheitsgehalt haben, weil seine Kammer in regelmäßigen Abständen von indonesischer Polizei inspiziert wurde. Im Hafen von Ujung Pandang auf Celebes verstärkten sich diese Kontrollen noch. Wobei uns der Agent unserer Hapag-Lloyd Niederlassung glaubhaft versicherte, dass die Polizei bei ihm die Puppen oder auch die Präparate einer Schmetterlingsart suchten, die weltweit nur auf dieser Insel vorkommen soll.
Unserem Insektenspezialist gelang es bei den ständigen Kontrollen übrigens nicht den begehrten Schmetterling aus seinen heimatlichen Gefilden in Celebes zu entführen. In den Terrarien, die er in der ohnehin kleinen Zweimannskammer aufgestellt hatte, tummelten sich allerlei Krabbeltiere. Respekt flößten mir nur die anscheinend aggressiven Skorpione und Spinnen ein. Seinen Mitbewohner habe ich nicht um seinen Schlafplatz beneidet.
 Von der ganzen Aufregung bekamen wir, die Besatzung, nur herzlich wenig mit. Waren wir derweil doch auf der Jagd nach seltenen altholländischen Münzen aus der Kolonialzeit. Unter der Hand und unter dem Siegel der Verschwiegenheit wurden uns diese alten Guldenstücke im Schatten dunkler Hausecken feilgeboten. Ich habe mich von dieser Geheimnistuerei und Münzhysterie anstecken lassen, weil selbst unser Kapitän von diesem  Fieber erfasst war. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit verzichtete er bei seinen Landgängen auf die Begleitung einer seiner Offiziere. Während der Mahlzeiten in der Offiziersmesse präsentierte er dann voller Stolz seine Erwerbungen, die er dann in unserem Beisein in einem Münzkatalog abhakte. Für uns steigerte sich der Wert dieser Silbermünzen in traumhafte Höhen, als auf unserer Heimreise in Tanjungperiuk, dem Hafen von Jakarta, fliegende Händler uns unsere Münzschätze abzuschwatzen versuchten. Sie machten auch gar keinen Hehl daraus, dass sie die Münzen mit erheblichem Gewinn an Passagiere der auf Reede liegenden Kreuzfahrtschiffe verkaufen wollten. Immerhin konnte ich mir bis in meinen Heimaturlaub hinein die Illusion eines Silberschatzes erhalten. Erst ein Berufsnumismatiker schleuderte mich je auf den Boden der Tatsachen zurück, ihm waren diese „alten Holländer“ aus Celebes durchaus bekannt. Mit den alten Druckstöcken hatten die Fälscher mit minderwertigen Metallen die Münzen nachgeprägt. In feuchter Erde gelagert überzogen sie sich dann auch mit der so überzeugenden Patina. Ähnliche Versuche mit Münzen habe ich nie wieder gestartet, so habe ich dabei doch immer an den Spruch „Schuster bleibe bei deinen Leisten“ denken müssen.
Auf der Heimreise zeigte sich der Indische Ozean zur Zeit des Wintermonsuns von der schlechten Seite, das Schiff stampfte und rollte gewaltig durch die aufgewühlte See. Mannschaft, Schiff und Ladung überstanden die Schlechtwetterperiode unbeschadet, lediglich in der Kammer des Schmetterlingsliebhabers und Insektenfreundes  gingen zwei Terrarien über Stag, wie der Seemann zu sagen pflegt. Aus den Trümmern retteten sich Spinnen und Skorpione in die Freiheit der Kammer, die sofort zur Quarantänesatation erklärt wurde. Unser Insektenliebhaber hatte Gott sei Dank die Anzahl seiner entflohenen  Lieblinge im Gedächtnis. In  Gummistiefeln inspizierte er Zentimeter für Zentimeter der Kammer, derweil lag sein Mitbewohner zur Salzsäule erstarrt in seiner Koje. Nach dem Einfangmanöver soll er sich standhaft geweigert haben, die Unterkunft je wieder zu betreten.

Seemannssammelleidenschaften konnten auch abnorme Züge annehmen. Ich erinnere mich an einen Steward, der mit Leidenschaft alkoholische Getränke sammelte. Während der Seereise hat er nie eine seiner seltsam anmutenden Getränke angerührt. Sein absolutes Eldorado bei seinem Flaschentick waren die Häfen von Korea. Auf Märkten und Apotheken erwarb er dann diese Flaschen mit seltsamem Inhalt. Ginsengwurzeln in gläsernen Behältnissen reizten ihn anscheinend weniger. Neben seltsamen Früchten mussten es schon Schlangen, Würmer und fette Maden im Alkoholsud sein. Die absolute Krönung waren dann aber die in einer trüben Flüssigkeit schwimmenden Rattenembryos. Nachträglich bin ich froh, dass ich nie zu einer Party in seiner Heimatstadt Berlin gebeten wurde.