Kanada – Große Seen

MS Burgenstein

Diese zweite Reise mit der „Burgenstein“ stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Hatte ich doch gemutmaßt, gehofft und ein wenig gepokert, dass ein Schiff in der Linienfahrt auch seinem Fahrtgebiet treu bleibt. Doch diese Hoffnung und dieser Traum, auf einen weiteren Einsatz via Magellanes, zerplatzten bei Ankunft in Hamburg. Statt rund um Südamerika, mit vorherigen Abstechern nach New York und Puerto Rico, stand Kanada auf dem in der Messe ausliegenden Postzettel, was somit das kommende Fahrtziel auswies. Die abmusternden Besatzungsmitglieder haben mich noch zu allem Überfluss kräftig mit meinem Kanada- Hauptgewinn aufgezogen. Hatte ich doch selbst schriftlich bei der Reederei, um einen weiteren Einsatz auf diesem Schiff gebeten. Richtige Schadenfreude konnte ich allerdings nur bei einer altgedienten Stewardess feststellen, diese Dame hatte auch allen Grund mir nicht wohlgesonnen zu sein. Hatten mein Freund Eibe und ich sie wegen ihrer nicht erwiderten Liebe zu unserm Elektriker ganz gemein auf die Schippe genommen. Der Liebeskummer hatte sie für Tage an die Koje gefesselt und ihr Arbeitsbereich, die Messe und Kammern der Offiziere und Ingenieure, verkamen langsam zum Selbstbedienungsladen. Statt der gewohnten Bedienung mussten wir selbst u.a. den Feudel und das Staubtuch schwingen. Unser gemeinsamer Krankenbesuch und der damit verbundene Genesungstipp aus Ostfriesland brachte uns eine Beschwerde und Vorladung beim Kapitän ein. Unser Reiseleiter konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Trotzdem mussten wir uns für die vorgeschlagene „Notschlachtung einer Liebeskranken“ bei der Stewardess entschuldigen. Unser Besuch muss seltsamerweise trotzdem eine heilende Wirkung gehabt haben, die Dame nahm ihre Arbeit wieder auf. In Buenos Aires haben wir endgültig Frieden geschlossen und standen ihr als Modeberater zur Seite. Sie wurde durch unser Zureden mit einem lila Wildledermantel ausstaffiert, nicht zu vergessen die passende Handtasche und Pumps in eben dieser Farbe.

Die Erinnerung an diese traumhaft schöne Magellan-Reise verblassten schnell mit dem Beginn der anstehenden Kanada Große Seen Reise. Ein Tiefdruckgebiet im südlichen Atlantik zwang uns auf einen nördlichen Ausweichkurs. Statt rauer See begleitete uns Nebel und bittere Kälte bis unter die Küste Neufundlands, d.h. wir vermuteten uns unter der Küste dieser Insel. Die Position unseres Schiffes konnten wir tagelang nur erahnen, weil eine astronomische Standortbestimmung bei der ständigen Waschküche einfach nicht möglich war. Erst durch Peilungen der Küstenfunkstellen stellten wir fest, dass es uns in die Labrador See verschlagen hatte. Leider bewahrheiteten sich dann auch noch die Vorhersagen des Eisbergwarndienstes von St. John’s. Die vereinzelt auftretenden kleinen Eisberge, „Growler“ genannt, verdichteten sich Zusehens zu großen Eisfeldern, die uns den Weg in den Saint Lawrence Golf versperrten. Die Seeeisbarriere zwang uns daraufhin zu einem südlicheren Kurs. Versuche das riesige Eisfeld zu durchqueren, mussten nach einigen hundert Metern aufgegeben werden, weil die Maschine des Schiffes in die Knie ging. Bei einem dieser Versuche muss einer der Growler den vordersten Ballasttank, die Vorpiek, aufgeschlitzt haben. Bemerkt hat es allerdings erst unser Zimmermann als er, wie jeden Tag, die Tanks peilen wollte. Bei der Vorpiek konnte er sich diese Arbeit ersparen, bei jedem sanften Eintauchen des Vorschiffs wurde das Seewasser in den Tank gedrückt und die Luft entwich mit hörbaren Pfeifen durch den Schwanenhals, ein gebogenes Lüftungsrohr. Weitere Durchbruchversuche wurden nach dieser Schadensmeldung unterlassen. Gute zwei Tage dampften wir an dem Seeeisgürtel entlang, bis wir freies Gewässer erreichten. Um eine teure und zeitaufwendige Reparatur in einer kanadischen oder amerikanischen Werft zu vermeiden, wurde das Schiff mittels der Ballasttanks auf den Kopf getrimmt, so verschwand der verräterische Riss unter der Wasserlinie. Die abenteuerlichen Ausreden gegenüber Lotsen und Behörden wegen unserer Kopflastigkeit sind mir leider entfallen. Ohnehin waren wir auf Behördeninspektionen nicht sonderlich erpicht, denn neben dem Loch im Steven, wurden wir auf dieser Reise von einer uns unerklärlichen Mäuseplage (siehe Story: “Ungeliebte Mitreisende“) heimgesucht.

Mit der vertrimmten „Burgenstein“ ging es über Quebec nach Montreal. Durch die Vermittlung unserer dortigen Agentur wurde in einer „Nacht–und-Nebel-Aktion“ das verräterische Loch mit einer großen Eisenplatte abgedeckt und verschweißt. Selbst für den passenden Anstrich sorgten die gedungenen Werftarbeiter noch.

Während der kurzen Liegezeit in Montreal, bekam ich den unverhofften Besuch eines ausgewanderten Norderneyers. Unsere Mütter hatten ohne unser Wissen dieses Treffen arrangiert. Michael Schermann ließ es sich nicht nehmen, mir die Schönheiten dieser Stadt zu zeigen. Natürlich erzählte der Neukanadier auch von seiner Auswanderung. Angefangen hatte es mit der Weltausstellung in Montreal, er arbeitete als gelernter Koch im deutschen Pavillon. Anschließend verdingte er sich, weil er keinen Job in seinem Beruf fand, als Baumaschinenfahrer am Polarkreis. Mittlerweile lebt er mit Frau und Kind in Montreal.
Diese von Herzen kommende Gastfreundschaft ausgewanderter Insulaner habe ich auch in Australien (Fremantle), Kalifornien (Sacramento) und Argentinien (Buenos Aires) erleben dürfen. Nochmals meinen Dank für die schönen Stunden in ihrer neuen Wahlheimat.

Weder das abgedeckte Loch noch die Mäuseplage wurden von den Behörden in Kanada und USA bemerkt. Ihr Augenmerk galt viel mehr unseren Fäkalientanks. Bei Höchststrafen war es verboten etwas von der unappetitlichen Brühe in die Seen zu pumpen. Das Umweltbewusstsein war schon wegen der fast umgekippten Seen weit ausgeprägt.
Die weitere Reise führte uns über den Saint Lawrence River über den Ontario See nach Toronto, leider war auch hier die Liegezeit extrem kurz. Von den Niagarafällen bekamen wir bei Nacht nichts zu sehen. Der Umgehungskanal mit seinen acht Schleusen war eine Herausforderung an Besatzung, Schiffsleitung und Lotsen. Während der elfstündigen Fahrt durch den Welland Kanal bis in den Erie See, kam die Mannschaft nicht zur Ruhe. In den Schleusen wurden jeweils zwei Matrosen mit bordeigenen Schwingbäumen in einem Bootsmannsstuhl an Land gesetzt, um das Schiff zu vertäuen. Nach dem Schleusen selber wiederholte sich der Vorgang in umgekehrter Reihenfolge. Über Cleveland und Detroit ging es in den Huron See. Das ständig neblige Wetter machte uns sehr zu schaffen. Auf meiner Wache, von acht bis zwölf Uhr, bei Sichtweiten um fünfzig Meter, bekam ich ein Echo auf den Radarschirm, welches sich uns konstant auf Kollisionskurs näherte. Unsere regelmäßig gegebenen Schallsignale wurden nicht erwidert. Als die Gefahr einer Kollision immer bedrohlicher wurde, habe ich ein radikales Steuerbordmanöver mit entsprechendem Schallsignal eingeleitet. Diese plötzliche Kursänderung bescherte uns einige Scherben in den Messen und der Kombüse. Unseren Gegner bekamen wir weder zu Gesicht noch zu Gehör. Entweder war es eines dieser großen Frachtschiffe, den sogenannten Lakern, oder auch nur ein Geisterecho auf dem Radarschirm. Während der Kapitän „not amused“ war, saß mir der Schrecken noch Stunden später in den Gliedern.

Die Fahrt durch den Lake Michigan bis Chicago verlief ohne weitere Vorkommnisse. Trotz der auf eine Schicht angesetzten Liegezeit, ergriff ich die Möglichkeit eines Landgangs, viel zu sehen bekam ich jedoch nicht, beim Einkauf von einigen Schallplatten bemerkte ich, dass der Himmel seine Schleusen öffnete und ein heftiger Regen niederging. Seltsamerweise musste ich sofort daran denken, dass unser Kapitän die Reederei nicht mit einer weiteren teuren Schicht der Hafenarbeiter belasten würde. Fluchtartig verließ ich durch diese Eingebung das Kaufhaus. Mit einem Taxi erreichte ich gerade noch das auslaufende Schiff. Im Nachhinein habe ich mich über meine Ahnung und mein Handeln geärgert. Hätte ich doch auf Kosten der Reederei per Bus, Bahn oder Flugzeug dem Schiff nachreisen können. Ich war nämlich lange vor der angesetzten Abfahrtszeit an Bord gekommen.

Auf der Heimreise im Welland Kanal lief unserm Lotsen durch die seitliche Strömung eines kleinen Flusslaufes die Burgenstein völlig aus dem Ruder. Ich sah aus meinem Kammerfenster plötzlich Telegrafenmasten und die Uferböschung auf uns zukommen. Es gab eine gewaltige Erschütterung und das Schiff krängte nach Steuerbord und blieb eine kleine Ewigkeit auf dem rechten „Ohr“ liegen. Sofort machten wir Kontrollgänge in den abgeladenen Luken. Wasser war Gott sei Dank nicht eingedrungen, durch die Wucht des Aufpralls waren einige Einstiegsdeckel der Ballasttanks aus ihrer Verschraubung gerissen worden. Doch in die Tanks selber war kein Wasser eingedrungen. Eine unübersehbare Beule, die Spanten der Bordwand waren reihenweise verformt, erstreckte sich über die Ladeluken eins und zwei. Trotz der Schäden setzten wir die Heimreise fort. In Hamburg fand nach dem Löschvorgang bei Blohm & Voss eine Generalüberholung des Schiffes statt. Kammerjäger brachten der Besatzung eine Übernachtung und eine erste Erholung von einer wenig erbaulichen Kanada-Große Seen–Reise ein.

Erst auf späteren Reisen habe ich dieses wunderschöne Land schätzen und lieben gelernt.