Jan-van-Gent, Opas und andere Besucher

Unter der Rubrik Seemannsgarn kann man die Mär abheften, dass Vögel nur in unmittelbarer Landnähe zu beobachten sind. Zumindest tauchen in der Literatur immer wieder diese Vorboten der rettenden Insel oder des Festlandes auf.

Meine erste Bekanntschaft mit einem dieser Flugbegleiter machte ich im ersten Jahr meiner Ausbildung, während einiger Reisen über den Nordatlantik. Selbst bei stürmischem Wetter segelten diese schwarzweiß gefiederten Vögel dicht über die Wellentäler und Wellenkämme. Jan-van-Gent, wie die Matrosen diese Seevögel nannten, hat uns erst in Landnähe wieder verlassen. Erst Jahre später konnte ich dank „Google“ herausfinden, mit welchen Atlantikflieger ich es zu tun gehabt habe. Dabei hatte ich bei einem orkanartigen Sturm einem dieser Vögel gegenüber gehockt. Schaukelei und Stampferei des Schiffes hatten uns beiden mächtig zugesetzt. Der Basstölpel, der vor den Naturgewalten an Bord Schutz gesucht hatte, und ich, der an Deck frische Luft einsaugte, waren gleichermaßen von der Seekrankheit gezeichnet.

Nur ein oder zwei Tagesreisen südlich der Azoren verabschiedete man sich endgültig von den Tiefdruckgebieten des Nordatlantiks und dem damit verbundenen schlechten Wetter. Jan-van-Gent wurde durch andere Reisebegleiter abgelöst.

In der Karibik und in der Südamerikafahrt wurden wir in Landnähe von einer Vielzahl von Seevögeln begleitet. Absolute Favoriten bei den Seeleuten waren die „Opas“. Auf das Aussehen der Pelikane bezog sich diese Namensgebung wahrhaftig nicht. Ihre, wie in Zeitlupe ausgeführten Flugmanöver haben ihnen bei den Seeleuten diesen Spitznamen eingetragen. Bei ihren Formationsflügen, mit häufig mehr als ein Dutzend Vögeln, gibt der erste in der langen Reihe den Takt an. Geht also der erste Opa in den Gleitflug über, wird dieses Manöver mit zeitlicher Verzögerung von den anderen nachgemacht. Dabei ist dann der Staffelflug der Pelikan-Formation häufig Ursache für ein absolutes Tohuwabohu bei der angepeilten Landung auf einer, der auf Reede verankerten, Festmacherbojen. Bei der unterschiedlichen Flughöhe gelingt die anvisierte Punktlandung allenfalls den ersten zwei oder drei Opas. Der große Rest fällt entweder auf die schon sitzenden Artgenossen oder ist gezwungen durchzustarten, wenn sie nicht ins Wasser stürzen oder mit der Boje kollidieren wollten.

Die fehlende Koordination bei ihren Flugmanövern hatte bei Begegnungen mit Schiffen häufig fatale Folgen. Aus welchem Grund auch immer, Ornithologen werden eine Erklärung dafür haben, setzten die Opas ihren ganzen Ehrgeiz daran ein Fahrzeug immer vor dem Bug (Vorsteven) zu überholen bzw. zu kreuzen. Die Navigation des führenden Pelikans ungeschadet das Vorschiff zu passieren reichte allenfalls für die Hälfte der Vögel. Der Rest der Gesellschaft versuchte sich häufig vergebens, mit hektischen Flügelschlägen, vor der drohenden Kollision zu retten. Allzu oft hatten wir dann plötzlich einige blinde Passagiere an Deck. Wobei es sich als sehr schwierig erwies, die ungebetenen Fahrgäste wieder von Bord zu bekommen. Das Vordeck war als Startbahn viel zu kurz und wurde so manchen Opa zum Verhängnis, wenn er sich mit Schwung im Ladegeschirr verhedderte oder vor die Aufbauten knallte. Fangversuche scheiterten an den mächtigen Schnäbeln. Besonders die Parasiten (Milben) der Vögel haben uns zudem von solchen Experimenten abgehalten. Lange Stauholzlatten, mit deren Hilfe wir einen Opa nach dem anderen Außenbords hebelten, waren dann die Notlösung.

Beim Fischfang änderten die Pelikane ihren, wie in Zeitlupe durchgeführten Formationsflug nur unmerklich. Die ganze Gesellschaft flog oder segelte nur dicht über der Wasseroberfläche, um dann plötzlich seitlich abzukippen und kopfüber in die Fluten zu tauchen. Wobei ich häufig den Eindruck hatte, dass allenfalls ein oder zwei der Opas bei diesem kollektiven Fischfang Erfolg hatten. Gefahr drohte dann auch noch durch die diebischen Fregattvögel, die ihnen die Beute streitig machten.

Seevögel waren immer nur zeitweilige Reisebegleiter. Als häufig mehrtägiger Rastplatz wurden die Schiffe von Zugvögeln auserkoren. Für eine nicht alltägliche Spezies betrachte ich die Vögel, die Dank des zufällig reichen Nahrungsangebotes die Abfahrt eines Schiffes verschlafen. Vermutlich haben sich auf diesem Wege, z.B. Spatzen auf dem gesamten Globus verteilt.

Auf einer Indonesienreise hatten wir mehr als ein Dutzend Rückwanderer an Bord, die erst in Hamburg, als ihre Nahrungsgrundlage gelöscht wurde, sich endgültig verabschiedeten. In der täglich belüfteten Schüttladung von einigen hundert Tonnen Palmkernen, wimmelte es nur so von Insekten, die das Spatzenleben gesichert hatte.

Tauben konnten, wenn sie angefüttert wurden, recht anhänglich und oft auch lästig werden. Während einer Rückreise von Ostasien waren uns im Roten Meer zwei Haustauben zugeflogen. Offensichtlich wollten sie den Rest ihrer beschwerlichen Reise per Schiff zurücklegen. Zumindest wurde unser Schiff für die nächsten Wochen ihr Taubenschlag. Pro Tag flogen sie allenfalls zwei oder drei Ehrenrunden über dem fahrenden Schiff, um anschließend wieder die Brückennock zu beklecksen. Nachts verbrachten sie in einem Pappkarton. Erstaunlich war schon, dass die Vögel uns selbst in den Häfen in Saudi Arabien, Italien und Frankreich nicht verließen. Pünktlich zur Abfahrt umkreisten sie wieder ihren Taubenschlag. Mit einer kleinen List sind wir die Mitreisenden in Southampton endlich losgeworden. Das Nachtquartier wurde dem Lotsen mit Inhalt in die Hand gedrückt, als er das Schiff verließ. Entweder gab es bei ihm anschließend Taubenbraten oder er hat tatsächlich sein Wort gehalten und sie erst in die Freiheit entlassen, als wir außer Sichtweite waren.

Im Englischen Kanal hatten wir häufig irritierte Brieftauben an Bord, die, wenn sie nicht gefüttert wurden, nach einer ausgiebigen Ruhepause wieder verschwanden. Einem dieser beringten Mitreisenden haben wir von seinem Erkennungszeichen erleichtert, um es viel, viel später in einem fernen asiatischen Hafen an eine heimatliche Vogelwarte zu schicken. Vermutlich steht dieser Rekordflug noch heute in den Annalen der Vogelkundler oder auch im Guinnes Buch der Rekorde.

Die „Fußkranken“ des Vogelflugs waren häufig an der Küste der iberischen Halbinsel, dem Mittelmeer und dem Roten Meer bei uns an Bord. Häufig starben die kleinen Singvögel an Hunger, Durst und Erschöpfung. Wobei Körnerfresser dank einiger Seeleute und den Vorräten des Kochs immer eine größere Überlebenschance hatten. Insekten, abgesehen von den allgegenwärtigen Kakerlaken auf den damaligen Frachtschiffen, gab es an Bord ja nicht. Letzteres hat mich dann auch dazu bewogen in einer Hamburger Zoohandlung eine große Tüte Futter Vogelfutter zu erstehen.

Meine Bemühungen waren dann leider nicht von Erfolg gekrönt. Während der gesamten Ausreise konnte ich meine Samariterdienste nicht anbieten. Entweder war es zu früh oder auch schon zu spät für eine Begegnung mit den Pflegefällen unter den Zugvögeln. Enttäuscht habe ich die Tüte mit den Leckereien in einem Spind auf der Brücke verstaut.

Abgelenkt von dieser Misere wurden wir dann durch eine plötzlich auftretende Käferplage. Im gesamten Wohnbereich des Schiffes wurden die kleinen braunen Käfer gesichtet. Die Krabbeltiere, in der Größe eines Marienkäfers, waren offensichtlich völlig harmlos und zeigten lediglich größeres Interesse für unsere Bordapotheke. Einige Tablettenpackungen wurden anscheinend als Ersatznahrung akzeptiert und völlig zerbröselt. Die Herkunft dieser Plage blieb vorerst aber ein Rätsel. Der Verdacht lag nahe, dass die Winzlinge mit einem der vielen Container an Bord geschleppt worden waren. Zumal der Koch nach einer gründlichen Inspektion seiner Proviantkühlräume jeden Verdacht von sich gewiesen hatte.

Irgendwann ist mir dann doch aufgefallen, dass die Käfer gerade auf der Brücke sich anscheinend ständig ein Stelldichein gaben. Mein aufkeimender Verdacht wurde dann zur Gewissheit, als ich während einer Seewache klammheimlich meine Tüte mit Vogelfutter inspizierte. Aus der nur lose verschlossenen Öffnung kam mir eine Armada von gerade geschlüpften Käfern entgegen. Anscheinend hatte ich in Hamburg hunderte von Käferlarvenpuppen erstanden.

Die Vernichtung erfolgte auf dem Fuße. Mein mir selbst auferlegtes Schweigegelübde habe ich erst heute gebrochen.