Kneipengänger

Mit dem Beginn des Container-Zeitalters in der Seeschifffahrt  verschwand neben den konventionellen Schiffen auch ein Teil der viel besungenen Seefahrerromantik. Extrem kurze Liegezeiten und die drastisch reduzierten Besatzungen trugen dazu bei, dass in vielen Häfen die berühmt berüchtigten Amüsierviertel von der Bildfläche verschwanden. Es sei denn die Etablissements konnten, wie in Hamburg, Dank  der Tourismusbranche überleben. So  bin ich mir ziemlich sicher, dass viele Kneipen und Clubs aus meiner Fahrenszeit  längst nicht mehr existieren oder unter fremder Flagge segeln. Kneipen, Bars, Clubs, Restaurants und Tanzböden sind aus den Häfen dieser Welt nicht wegzudenken und haben einen festen Platz in den Erinnerungen ganzer Generationen von Seeleuten. So sind auch mir einige Häfen in Verbindung mit den Namen etlicher Kneipen und Lokale im Gedächtnis geblieben, meistens in Verbindung mit kleinen Episoden, die in gemütlicher Runde immer einmal wieder gerne aufgetischt werden. Ich lade Sie ein meinem kleinen internationalen Erinnerungstrip zu folgen.

Die Küstenreise nahm in Bremen ihren Anfang. Das Nachtleben in unmittelbarer Nähe des Europa -, Übersee- und Holzhafens hat mir nie viel gegeben. Während meiner Ausbildungszeit  zum Matrosen besuchte mich meine damalige Freundin an Bord des Küstenmotorschiffes „Bremer Kueper“. Ihren während des Mittagsessens geäußerten Wunsch nach einem Einblick in das ach so verruchte Lotterleben eines Seemanns haben der Alte und sein 1. Offizier missverstanden oder zu wörtlich genommen. So konnten wir dann die Einladung zu einem Bummel durch die Kneipen in Bremen/Walle nicht ausschlagen. Wobei ich wohl in den Augen dieser beiden Fremdenführer eher als lästiges Anhängsel betrachtet wurde. Großen Eindruck haben dann die aufgedonnerten Dockschwalben und die zumeist betrunkenen Gäste in Kneipen wie dem „Krokodil“ und dem „Golden City“ nicht auf sie gemacht. Zumindest hat sie auf weitere Exkursionen in diesem Nachtjackenviertel stillschweigend verzichtet.  – In diese Zeit fallen auch die Versuche einer verlängerten Mittagspause, die uns Junggrade vom Schiff, durch den Überseehafentunnel direkt an den Tresen von „Mutti Weiss“ oder „Bruno Mosig“ führten. Der Bootsmann bewies in dieser Sache wenig Humor, und drohte uns bei Wiederholung mit Kündigung.

Seltsamerweise begann der Landgang in Hamburg meistens auf Schusters Rappen, weil uns die Fährverbindungen zu den Landungsbrücken zu lang und umständlich waren. Taxen wiederum waren zu teuer, weil sie riesige Umwege machten, um den alten Elbtunnel zu meiden. Tatsächlich war es keine Geldschneiderei, da sich schon so manches Taxi an den Randsteinen des Tunnels die Reifen aufgerissen hat. Als Lloyd – Fahrer suchte man auf der Reeperbahn als erste Kneipe das „Marseille“ auf. Dank hunderter von Ansichtskarten aus aller Welt konnte uns die Bardame genauestens Auskunft geben über Schiffsbesatzungen und Schiffsbewegungen der Lloyd – Flotte. Die Hapag – Fahrer hatten übrigens  in der „Straßburger Stuben“ eine ähnliche Informationsquelle hinsichtlich ihrer Schiffe und Besatzungen. Je nach Stimmung ging es nach diesem ersten Abstecher entweder in den „Star Club“. Tony Sheridan u. die Beatles sind mir in Erinnerung geblieben.  Das Restaurant „Cuneo“, vis-a-vis der Herbertstraße,  war wohl einer der ersten Italiener in Hamburg. Neben Speiserestaurant auch Galerie für Maler wie Bruno Bruni. Seine eindrucksvollen   Bilder und die tolle Speisekarte sind mir in guter  Erinnerung geblieben. Häufig suchten wir auch „Tante Hermine“ in ihrer „Kuhwerder Fähre“ auf. Der kleine Laden war meistens rappelvoll. Bei einem unserer Besuche  setzte ein unerkannter Besucher zwei  weiße Mäuse aus, erstaunlicherweise blieben die Gäste und Tante Hermine völlig gelassen. Lediglich der Klavierspieler – es stand jedem Gast frei sich an den Klimperkasten zu setzen – nahm die Füße  hoch.  Krönender Abschluss eines Landgangs in Hamburg  war der Besuch im „Silbersack“. Angeblich verkehrt in diesem Laden heute nur noch die Schickimicki. Damals war es angebracht sein Bierglas bis zum letzten Schluck fest in der Hand zu halten, sonst …   In Rotterdam sind den Seeleuten die Kneipen in Schiedamm/Katendrecht bekannt, die Namen sind mir leider entfallen. In Antwerpen war es das Amüsierviertel am  Scheldekai, was die Seeleute magisch anzog. Neben hübschen Mädels ( nicht zwingend vom horizontalen Gewerbe ) gab es tolle Restaurants und Tanzschuppen. Nicht zu vergessen die Straßenstände mit Pommes und Muscheln im Angebot.  Ausgangspunkt aller Exkursionen war immer die Kneipe von „Angelina“,  vermutlich war es nicht einmal der richtige Name dieser gemütlichen Eckkneipe. Doch in diesem Fall bewahrheitete sich wieder einmal der Spruch, dass eine Kneipe mit dem Wirt steht oder fällt. Angelina hat einer Unzahl von Seeleuten unzählige Gläser Stella Artois oder Trappisten Bier kredenzt. Nicht weniger beliebt bei den Seeleuten war ihr angeketteter Ara, der ausgesprochen redebegabte Vogel  quatschte zur Freude der Gäste gleich mehrsprachig den größten Unsinn. Wobei Ferkeleien die Grundsubstanz  seines Wortschatzes ausmachten. Wenn es zur fortgeschrittenen Stunde zu arg wurde, wurde der Käfig abgedunkelt und in einen Nebenraum verfrachtet. Gerüchten zur Folge soll es dem Ara die Sprache für immer verschlagen haben, als ein außer Kontrolle geratener LKW sich in die Eckkneipe verirrte.

Über den großen Teich geht es nach New York, wobei ich wegen meines Alters im ersten Jahr meiner Ausbildung von jedem Kneipenbesuch ausgeschlossen war. Erst  als Offizier lernte ich das Künstlerviertel Greenwich Village kennen und schätzen. Ganz besonders hatte es mir die Musikkneipe „Your Father’s Mustache“ angetan. Die Bands mit ihrem Blues – und Skifflerepertoire heizten die Stimmung unglaublich an. Im Halbdunkeln stand oder saß man  an Holztischen,  die Füße knöcheltief in Erdnussschalen. Die Kellner erkannte man in der Menschenmenge an ihrer Kopfbedeckung. Kreissägen, wie man sie in den frühen  zwanziger Jahren trug. Die ausgesucht hübschen Kellnerinnen trugen Strumpfbänder aus dieser Zeitepoche. Bier wurde nur in Krügen (Pitcher) ausgeschenkt, “ taste like dishwaters“. Über der Tür zur Damentoilette waren zwei übergroße Holzhände angebracht, die seltsamerweise bei Ein – oder Austritt von hübschen Frauen hörbar zusammenklappten. Erst später bemerkte ich den Seilzug, der zum Schlagzeuger der Band führte. Die männlichen Besucher des Clubs sahen sich häufig sehr ähnlich, weil fast alle den berühmten Kaiser Wilhelm Bart „Es- ist- erreicht-Bart“ an die Nasenlöcher gesteckt hatten. Die Dinger mit der Aufschrift“ Your Father’s Mustache“ wurden einem mit der Eintrittskarte überreicht. Häufig war der Laden aber  auch so voll, dass man nicht eingelassen wurde und tief enttäuscht die Heimreise per U-Bahn antreten musste. Der Eintrittspreis war leider auch deftig, so lag es nahe, sich um einen Mitgliedsausweis zu bemühen. Zumal der Club Niederlassungen in vielen Städten der USA hat. Die Blues – und Skifflebands wechseln in einem festen Rhythmus ihre Auftrittsorte. Die Chance an einen der begehrten Clubausweise zu kommen, ergab sich eher zufällig. Bei einem unserer Besuche wurde die Musikpause mit einem recht albernen Spiel überbrückt. Aus dem Publikum konnten sich Freiwillige melden, die an einem Saufwettbewerb teilnehmen wollten. Ein wenig feige war es schon von mir, dass ich unseren Offiziersanwärter vorgeschickt habe. Die sechs Aspiranten wurden dem Publikum vorgestellt und mit viel Applaus bedacht. In dieser Vorstellungsphase hatte sich ein ungebetener Gast unbemerkt an die sechs vollen Bierkrüge herangemacht. Erst beim dritten oder vierten  von ihm geleerten Pitcher wurde er vom Personal bemerkt und unter großem Gejohle von vier Kellnern an die frische Luft befördert. Wobei ich mittlerweile glaube, dass diese Geschichte einfach gut inszeniert war. Bei dem anschließenden Schnelligkeitstest fiel mein OA mit Pauken und Trompeten durch. Doch allein die Teilnahme wurde mit der Übergabe einer Mitgliedskarte belohnt. Letzteres hat mich dann bewogen an der zweiten Staffel teilzunehmen. Trotz redlicher Bemühungen musste auch ich in der Vorrunde die Segel streichen. Einigen der Teilnehmer schien das Zäpfchen im Rachen zu fehlen. Als Heimatort hatten wir beide unabhängig voneinander bei der Vorstellung „Hamburg/Germany“ angegeben. Letzteres hat uns trotzdem nicht vor naiven Nachfragen aus dem Publikum bewahrt. In den Augen einiger Amis lag Hamburg in der DDR bzw. in Belgien und Dank der Bombenabwürfe im zweiten Weltkrieg müsste die Stadt zum größten Teil Grünfläche sein. Wir haben sie in diesem Glauben gelassen.

Die Reise geht weiter in die Golf Region der USA. In Houston /Texas hat mich der dort tätige Seemannspastor erfolgreich von einigen Kneipenbesuchen abgehalten. Doch in New Orleans bin ich in der berühmten Bourbon Street gerne rückfällig geworden. Erinnern kann ich mich gut an den „Red Rooster“ in der Turtle Bay. Meine Liebe zu Folk und Blues hat wohl in New York und New Orleans seinen Ursprung.

Durch den Panama – Kanal geht es an die Westküste Mittel –und Nordamerikas. In den Häfen Zentralamerikas gab es auch herrliche Kaschemmen und Kneipen, deren Namen mir entfallen sind.

Die Pazifik – Küste der USA  und San Francisco haben bei mir immer einen ganz besonderen Klang gehabt. Es war schon Kult mit der cable car bis zur Endstation Fisherman’s Wharf zu fahren. Das „Buena Vista Cafe“ war Treffpunkt für Junge und Alte, für  Arme und Reiche, für Highsociety  und Nobodys. So habe ich bei einen meiner Besuche, bei einem Becher Irish Coffee,  den  Sheriff von San Diego kennen gelernt. Leider konnte ich nie seiner ehrlich gemeinten Einladung nachkommen. Der Amerikaner redet und denkt gerne in Superlativen, wenn es um sein Amerika geht. Überall begegnet man Be – und Umschreibungen, die mit finest, biggest, highest, largest und anderen Übertreibungen beginnen. So war es auch nicht verwunderlich die kleinste Bar der Welt in Oakland  zu entdecken. Mit dem Wirt hatten tatsächlich nur zwei Leute Platz in diesem Pub. Die Wände waren gepflastert mit hunderten von Visitenkarten. Letzte Station dieses Kneipenbummels an der Westküste Nordamerikas ist Vancouver in Kanada. Schon in den 70-ziger Jahren hatte man hier erkannt, dass man ausgediente Lagerschuppen, Kaianlagen und Fabriken mit Erfolg  dem breiten Publikum öffnen kann. So entdeckten wir in einer ehemaligen Nudelfabrik Sitzgelegenheiten in einer ausrangierten Straßenbahn. Vor dem Bartresen waren alte Friseurstühle montiert, die sich mit Hilfe der Hydraulik in die gewünschte Höhe pumpen ließen. Ganz erstaunlich war auch der Besuch einer Discothek. Trotz bester Wegbeschreibung landeten wir in einem Abort mit mehreren Toilettenbecken mit altmodischer Wasserspülung. Enttäuscht wollten wir schon abdrehen, als ein weiterer Toilettengänger das Rätsel löste. Ohne die Örtlichkeiten zu nutzen betätigte er die Wasserspülung.  Es öffnete sich daraufhin  ein kleines Sichtfenster in der makellosen Wand und ein kaum sichtbares Auge musterte uns eingehend. Die Musterung muss wohl zu unsern Gunsten ausgefallen sein. Wie von Zauberhand schwang nun die Wand samt Kloschüssel und Spülvorrichtung  nach innen und gab den Weg in die Discothek frei.

In Australien habe ich bewusst keine Kneipe betreten, der Besuch lohnte auch kaum, weil um 22 Uhr mit „God save the Queen“ der Feierabend eingeläutet wurde. Man durfte nur noch die vorher gebunkerten Biere austrinken. Schon aus diesem Grund waren auf diesen Reisen die oft zu Unrecht gescholtenen Seemannheime oder deutschen Clubs  beliebter. Man fühlte sich auch gleich ganz heimisch, wenn neben dem gerahmten Bild der englischen Königin, der Bundespräsident auf seine Seeleute herablächelte. Schlimm wurde es eigentlich nur, wenn ausgewanderte Deutsche den Club mit ihrer Anwesenheit beehrten. So viel stockkonservative  Deutschtümmelei habe ich allenfalls in den USA und im Süden  Chiles erlebt. Beinahe hätte ich die zufällige Begegnung mit einem Norderneyer vergessen. In Sydneys ältestem Pub dem „Lord Nelson“ liefen wir uns über den Weg. So ein Zufall musste natürlich begossen werden. In diesem Fall war ich letztendlich für die übliche Sperrstunde mehr als dankbar. Klaus Pfeifer fuhr damals als 1. Steward beim NDL.

Die letzte Station dieser kleinen Weltreise in Sachen Kneipen führt uns nach Japan. Wobei ich mir die Schilderung der üblichen Abzockerkneipen auf der Motomachi in Kobe erspare. Die Reise führt nach Yokohama,  in die unter Seeleuten bekannte  Musikkneipe „Peanuts“ und einer handfesten Keilerei. Wobei  der Abend durchaus harmonisch begann. Internationales Publikum, welches sich nach Herkunftsländern getrennt über das gesamte zweistöckige Lokal verteilte. Die größten Kontingente stellten die Japaner, Norweger, Amis und die Deutschen. Heimlich hatte  im Laufe des Abends ein Spaßvogel den völlig zugedröhnten Skandinaviern  statt der üblichen Eiswürfel weiße Urinsteine in die Gläser bugsiert. Sonderlich gut muss diese Geschmacksrichtung nicht gewesen sein, zumindest fanden sie es keineswegs amüsant. Noch weniger lustig empfanden die Norweger allerdings das Gelächter und die Frotzeleien der ihnen schräg gegenüber sitzenden Amerikaner. Nach ersten Wortgefechten flogen dann plötzlich Gläser, Aschenbecher, Stühle und zuletzt die Fäuste. Die Keilerei wurde dann sehr schnell durch anrückende amerikanische Militärpolizei beendet. Die Kontrahenten wurden ohne langes Palaver in einen vergitterten Mannschaftsbus verfrachtet und abtransportiert. Die wahren Schuldigen hatten den Ablauf des Geschehens aus  der sicheren Entfernung  des Obergeschosses beobachtet und fühlten sich anschließend, in dem nun fast leeren Lokal ausgesprochen unwohl. Zumal man ja damit rechnen musste, dass die Militärpolizei uns nach den ersten Verhören auch noch  in Gewahrsam nehmen würde. Kleinlaut und leise haben wir das Feld geräumt. Zweckentfremdete   Urinsteine scheinen kein probates Mittel für allgemeine Heiterkeit zu sein.
Unser kleiner Streifzug durch die Kneipen endet mit meinem Heimaturlaub auf der Insel Norderney. Meiner damaligen Stammkneipe, der „Friesenschänke“, werde ich zu gegebener Zeit eine weitere Story widmen.