Mexiko-Reisen
Häfen der mexikanischen Westküste muss ich seinerzeit leider nur Stippvisiten abgestattet haben, zumindest sind meine Erinnerungen an diese Fahrten nur sehr bruchstückhaft.So ist von Ensenada, nahe der amerikanischen Grenze, nur der Namen geblieben.
Den Hafen Manzanillo bringe ich in Verbindung mit einem äußerst energischen Kapitän, der beim Einlaufen den völlig überforderten oder unfähigen Lotsen kurzer Hand das Kommando aus der Hand nahm und ihn keifend von der Brücke jagte.
Ein weiterer mexikanischer Hafen „Mazatlan“ am Eingang zum Golf von Kalifornien, weckt Erinnerungen an einen sintflutartigen Regen. Dieser Tropenguss war so dicht und heftig, dass die Hafenarbeiter die Entladung der Container auf den nächsten Tag verschoben und fluchtartig das Schiff verließen. Letzteres war für meinen alten Freund Peter Sass und mich willkommener Anlass uns spontan in das Nachtleben von Mazatlan zu stürzen. Weder unsere völlige Mittellosigkeit – der Funker (Zahlmeister im Nebenjob) war mit den Pesos an Land verschwunden – noch die niedergehende Sintflut konnte uns von unserm Vorhaben abbringen. Barfuß und in einen Plastik – Müllsack gehüllt, verließen wir das Schiff und steuerten den durch einen dichten Regenvorhang nur schemenhaft zu erkennenden Ausgang des Hafens an. Der uns in das Gesicht peitschende Regen war wohl Grund dafür, dass ich das plötzliche Verschwinden meines Mitstreiters erst mit einiger Verspätung bemerkte. Nach einigem Rufen und Suchen tauchte der durch das knietiefe Wasser watende Freund aus der Dunkelheit wieder auf. Trotz der praktischen und bewährten Regenkleidung war er völlig durchweicht, nass bis auf die Knochen – wie so salopp gesagt wird. Es stellte sich heraus, dass er unbemerkt in einen offenen Gully gestürzt war. Unseren Landgang haben wir, obwohl auch die Taxen ihren Dienst wegen des abnorm hohen Wasserstandes längst eingestellt hatten, in die Tat umgesetzt. Mit Hilfe eines „Fahrrad –Taxi – Fahrers“ fanden wir, wie von einem Magneten angezogen, das Nachtjackenviertel, eine Kneipe mit hübschen Senoritas, die Hälfte der Besatzung und den Zahlmeister mit den nötigen Pesos – und so wurde es dann im wahrsten Sinne des Wortes noch eine feuchtfröhliche Nacht.
Hinsichtlich meines Erinnerungsvermögens sind mir Häfen der Ostküste dieses Landes im Gedächtnis geblieben. Schlagartig kommt mir das am Golf von Mexiko gelegene Veracruz in den Sinn. Unauslöschlich ist mir mit diesem Hafen ein traumhafter, fast vierwöchiger Aufenthalt in Erinnerung geblieben. Dabei war der tatsächliche Umstand für die lange Liegezeit für unsere Reederei äußerst kostenintensiv und unserer zuständige Agentur mehr als peinlich. Die in den Laderäumen für Veracruz bestimmte Schüttladung musste, weil weder Kräne noch Getreideheber zur Verfügung standen, von den Hafenarbeitern per Schaufeln, Eimern, Körben und dem bordeigenen Ladegeschirr gelöscht werden. Staub und Hitze ließen zudem den Enthusiasmus für einen in Aussicht gestellten Akkordlohn schnell schwinden. Unsere Besatzung war ohne Ausnahme von der in Aussicht gestellten vierwöchigen Liegezeit ganz aus dem Häuschen. Selbst in der Offiziersmesse machte sich Urlaubsstimmung breit. Die Leichenbittermiene von unserm Reiseleiter war wohl eher aufgesetzt, denn als direkter Vertreter des Reeders durfte und konnte er auch nicht anders, wobei ich bei Kapitän B. nie so ganz sicher war. Zu oft hatte er uns mit seinen Geschichten und seiner Mimik hinters Licht geführt. Geradezu berühmt bei der gesamten Reedereiflotte waren die Schilderungen seiner Erlebnisse als Soldat an sämtlichen Kriegsschauplätzen des 2. Weltkrieges. Erst ein Blick in die Besatzungsliste und die zugeordneten Geburtsdaten überführten ihn. Bei Kriegsende konnte er allenfalls Pimpf bei der Hitler Jugend gewesen sein. Wir haben diesem brillanten Erzähler trotzdem gern Gehör geschenkt, wenn wir ihn auch hinter der Hand mit Lügen – B. titulierten.
Die allgemeine Freude über die unverhoffte Liegezeit wurde nur durch einen Umstand getrübt, denn beim Einlaufen und Festmachen kamen mit den Behörden anscheinend organisierte Diebe an Bord. Zumindest waren gleich mehrere Türen von Besatzungsunterkünften gewaltsam geöffnet worden und Kameras, Radios und andere Wertgegenstände entwendet worden. Über den streng bewachten Landgang konnte das Diebesgut eigentlich nicht an Land gelangt sein. Doch unsere intensive Suche, unter den Augen der offensichtlich amüsierten Hafenarbeiter, war nicht von Erfolg gekrönt. Dieser materielle Verlust wurde bald verdrängt, aber nicht vergessen. In den Mittags -oder späten Nachmittagsstunden trafen wir uns mit Seeleuten, Touristen und Einheimischen unter den Arkaden der Zocalo. Die Stimmung und Atmosphäre dieser Plaza zog einen unwillkürlich in ihren Bann. Oft haben wir auf den Mittagstisch an Bord verzichtet, um in einer der zahlreichen Lokale und Cafes mexikanisch zu speisen und zu genießen. Selbst der berühmte Rotbarsch in süßlicher Tomatensoße verzückte uns. Nachmittags bei „Cafe de Olta“, das ist Kaffee mit Zimt und reichlich braunem Zucker, folgten unsere Augen den Senoritas mit den anscheinend unverzichtbaren „Anstandwauwaus“. Mit Einsetzen der Dämmerung belebte sich die Plaza zusehends, die Mariachis gaben sich ein Stelldichein. Diese Minibands mit Cowboystiefeln, engen schnallenbewehrten Hosen und breitkrempigen Sombreros, versetzten einen unwillkürlich in Szenen eines Edelwesterns. Für ein paar Pesos konnte man die Band mit Trompete, Gitarre und Geige für jeweils ein paar dieser mexikanischen Ohrwürmer anmieten. Leider hatte allzu oft der Nachbartisch die gleiche Idee. Uns hat dieses ohrenbetäubende Durcheinander trotzdem gefallen. Höhepunkt eines jeden Abends war der Auftritt mehrerer Trompeter auf dem Turm des Rathauses, dem Palacio Municipal. Mit der dann einsetzenden Dunkelheit verabschiedeten sich die Senoritas, wobei ihre Begleitung gönnerhaft die Flirtversuche von beiden Seiten übersahen. Die Besuche der Zocalo wurden mit der Zeit zur liebgewonnenen Gewohnheit, selbst bei den Trinkgewohnheiten passten wir uns den Landesgepflogenheiten an. Bier (Cerveza, der Marke Corona) und Cuba – Libre wurden bald von Magarita – Tequila verdrängt. Während dieser Liegezeit haben wir unzählige dieses Drinks mit Limettensaft und einer Prise Salz zu uns genommen. Seltsamerweise wurden nach zwei bis drei Wochen die Tequila – Gläser in den Lokalen der Plaza zur absoluten Rarität. Ich muss gestehen, dass ein halbes Dutzend noch heute in den Tiefen unseres Gläserschrankes zu finden sind.
An den arbeitsfreien Wochenenden ging es mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder per VW – Käfer Taxi an die rund acht Kilometer entfernten Badestrände „Mocambo – Beach“ oder „Boca de Rio“. Bemerkenswert waren diese Fortbewegungsmittel schon, so hatten die Busse statt der üblichen Aircondition einfach unverglaste Fenster. Bei den Taxen, ausnahmslos VW – Käfer, fehlte wegen des bequemeren Einstiegs der Beifahrersitz.
Während unserer langen Liegezeit sahen wir Schiffe vieler Nationen kommen und gehen, u. a. auch ein Spezialfahrzeug aus der DDR. Letzteres entpuppte sich als schwimmende Werkstatt für die Fischereiflotte Cubas. Die kubanischen Fischer hatten anscheinend so ihre Schwierigkeiten mit der Wartung und Pflege ihrer in Deutschland gebauten Fangschiffe. Trotz Politoffizier hatten wir schon nach kurzer Zeit regen Kontakt zu unsern Landsleuten aus dem Osten. Wir haben so manchen netten Abend mit den Seeleuten verbracht. Enttäuscht war wohl nur unser Kapitän, weil er mit seinen Kriegsanekdoten – ohnehin alle erstunken und erlogen – keine Zuhörer finden konnte. Die DDR – Seeleute waren es dann auch, die uns auf einen seltsamen Umstand aufmerksam machten. Gleich nach dem Auslaufen eines abgefertigten Schiffes erschien an dem nun mehr leeren Liegeplatz ein kleines, mit drei Leutchen besetztes Ruderboot.
Mit Schwimmflossen und Brillen ausgerüstet folgte ein Tauchgang nach dem anderen. Mit Ferngläsern bewaffnet, konnten wir bald den Erfolg ihrer Bemühungen beobachten. Unförmig verpackte Dinge wurden von den Tauchern geborgen und mit dem Ruderboot abtransportiert. Spätestens nach der zweiten Aktion dieser Art wurde uns schlagartig klar, wo unsere gestohlenen Wertsachen abholbereit lagerten. Eine Meldung bei der zuständigen Hafenbehörde und Polizei brachte nicht die gewünschte Reaktion, die Schatzkammer neben unserm Schiff blieb erst einmal unangetastet. In einem Sportgeschäft in der Innenstadt von Veracruz kauften wir dann eine Schnorchelausrüstung, um auf eigene Faust Tauchgänge durchzuführen. Doch wir hatten unsere Sportlichkeit überschätzt, die Sichtweite in dem trüben Hafenwasser war gleich Null und schon nach kurzer Zeit tauchten wir prustend und nach Atem ringend wieder auf. Bis auf den Grund des Hafenbeckens schaffte es kein Besatzungsmitglied. Ohne Atemgerät konnten wir den Dieben ihre Beute nicht wieder abjagen. Trotz aller Bemühungen verhielten sich alle Behörden und private Unternehmen merkwürdig passiv, so wurde u.a. die angekündigte Hilfe der ortsansässigen Werft ohne Nennung von Gründen kurzfristig abgesagt. Unsere gestohlenen Habseligkeiten wurden wohl erst nach unserer Verabschiedung geborgen. Vielleicht erfreut sich ja einer der bestochenen Beamten noch heute an meinem kleinen Weltempfänger.
Bei der Jagd nach Mitbringseln haben wir vergeblich versucht den Zauber dieser Stadt einzufangen, aber daheim auf der heimatlichen Insel verstaubten die erworbenen Langspielplatten mit mexikanischen Klängen in den Regalen. Der Sombrero ist wahrscheinlich in einer Kostümkiste vermodert, die geschmuggelten Tequilaflaschen fanden keinen Anklang und wurden entsorgt oder verschenkt. Lediglich das halbe Dutzend Tequila – Gläser lässt im Kreise guter Freunde Erinnerungen an Veracruz und der Zocalo wach werden, wobei mir unwillkürlich die letzten Zeilen eines Ringelnatz Gedichtes in den Sinn kommen.
„Durch die Fensterscheiben aber träumt ein Schatten
derer, die dort einmal
oder keinmal
abenteuerliche Freude hatten.“